Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Bildungsfähigkeit. 249

Fähigkeit zu bemerken, die Elemente zu erfassen. Gedächtnis und sinnliches Vorstellungsvermögen sind so gut angelegt, daß sie in Lesen, Schreiben, Zeichnen, Topographie und Geographie anfangs die weißen Kinder sogar übertreffen. Auch die einfacheren Rechenoperationen machen ihnen keine besondere Schwierigkeit. Je weiter der Unterricht aber zu Gebieten fortschreitet, die ein mehr abstraktes Denken erfordern, zu Grammatik und den höheren Zweigen der Arithmetik, um so deutlicher zeigt sich bald ihre Inferiorität und zwar in einem Lebensalter, in welchem der Lerntrieb noch nicht nachgelassen hat, was später regelmäßig einzutreten pflegt.

Daß die Kinder geschickt im Erlernen des Schreibens, Lesens und Zeichnens sind, ist nicht wunderbar, denn auch die Alten sind Meister im Lesen aller der Zeichen, die das Wild auf flüchtiger Spur dem Boden, den Gräsern und Bäumen aufgedrückt hat. Ebenso geschickt sind sie aber auch, sich gegenseitig durch absichtlich hervorgebrachte Zeichen zu verständigen, durch einen zugespitzten, in besonderer Richtung gestellten Stab, durch Einschnitte in die Baumrinde, durch Botenstäbe mit allerlei Kerben und Zeichen. Es gibt Stämme, die darin geradezu Bewunderungswürdiges leisten.

Übrigens ist natürlich der Erfolg der Mission unter so tief stehenden und so unstäten Menschen, wie die Australier es sind, faktisch gleich Null. Wie kann der Missionär eine Horde beeinflussen, die heute hier, morgen dort ist und die sich durch kein Mittel seßhaft machen läßt. Alle Versuche, das zu tun, sind als gescheitert zu betrachten, und wenn man im Süden hie und da eine kleine Zahl Überlebende der dem Aussterben nahen Stämme in kleinen Ansiedlungen vereinigt hat und sie, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, dort auch aushalten, bis der letzte gestorben ist, so ist das nicht als ein Erfolg zu bezeichnen, die Eingebornen seßhaft zu machen. Hie und da lassen sie sich von den Squatters dazu verwenden, beim »Mustern« zu helfen. Das Herumreiten hinter den Rinderherden, das Auffinden versprengter kleiner Herden macht ihnen wohl einige Wochen lang Spaß; aber nach wenigen Monaten erwacht die Sehnsucht nach dem freien, durch nichts beschränkten Nomadenleben und sie verlassen bald auch den besten Herrn und die lockendsten Genüsse der Weißen. Gerade dieser ungebundene Sinn machte es ja auch mir äußerst schwer, meine Schwarzen längere Zeit zusammenzuhalten. Wo sie noch in größerer Anzahl beisammen leben, wie in Mittel- und Nord-Queensland, da leben sie in ihrer alten Weise fort, und es ist sehr charakteristisch, daß hier, wo doch noch scheinbar ein Feld der Tätigkeit wäre, kein Missionär sich blicken


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003