Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Kulturzustand. 245

die wirksamste Triebkraft zu steigender geistiger Entwicklung und zur Kultur. Dieser Mangel hat die Australier auf dem niederen geistigen Niveau zurückgehalten, auf dem wir sie noch heute finden, und deshalb ist es auch der natürlichen Zuchtwahl unmöglich gewesen, etwas höheres zu erzeugen. Denn so vollendete Jäger, als nur immer denkbar sind, hatte diese geschaffen, und solange nicht eine neue Seite menschlicher Tätigkeit hinzukam, die neue geistige Kräfte erforderte, war ein Fortschritt durch weitere Auslese kaum möglich.

So finden wir denn auch Geist und Sinne der Australier in vorzüglicher Ausbildung nach allen den Richtungen hin, die mit der Jagd in Zusammenhang stehen: ungemein scharfe Beobachtungsgabe, Ortssinn, Gedächtnis, auch ein gewisses Vermögen aus kleinen Zeichen und Spuren auf den Aufenthalt, das Verhalten, den gegenwärtigen Zustand des Wildes Rückschlüsse zu machen. Alles dieses im Verein mit großer Handgeschicklichkeit im Waffengebrauch reicht aus, jegliches australisches Wild zu einer hilflosen Beute dieser Jägerstämme zu machen. Es ist deshalb auch ganz falsch, die Australier als eine halbverhungerte Kümmerrasse darzustellen, die sich nur mit Mühe unter harten Lebensbedingungen aufrecht erhält. Gerade das Gegenteil ist der Fall. In den meisten Gegenden, die von den Eingeborenen bewohnt werden, ist der Wildreichtum im Verhältnis zur Zahl der Eingeborenen ein so bedeutender, daß unter normalen Verhältnissen Jeder täglich mit leichter Mühe für sich und die Seinen so viel Pfund Fleisch erbeuten kann, als sein Magen begehrt. Natürlich handelt es sich dabei nicht nur um großes Wild, wie Känguruhs und Emus, sondern um die zahlreichen kleinen Beuteltiere, Känguruhratten, Bändikuts, Possums, von denen es fast überall wimmelt, und die von den luchsäugigen Schwarzen ganz einfach aus ihren Lagern und Baumverstecken herausgeholt werden. Es ist daher irrig, zu sagen, daß »die Nachstellung durch das rein nächtliche Leben unverhältnismäßig vieler Säugetiere erschwert wird«. Auch hier ist das Gegenteil der Fall.

Als Birschjäger finden wir den Australier in seiner höchsten Vollendung. Daneben versteht er es auch, sich des Wildes durch allerlei Liste zu bemächtigen, er ahmt die Lockrufe der Vögel nach, bedient sich lebender oder nachgeahmter Lockvögel, treibt die Wasservögel in selbstgeflochtene Netze, indem er sie durch den Schrei eines Raubvogels erschreckt, veranstaltet richtige Treibjagden auf Känguruhs, die er in schlauer Weise mit Buschfeuern kombiniert, um die mangelnde Zahl der Treiber zu ersetzen.

Zum Fischfang werden Handnetze verwendet. Träge Fische, wie


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003