Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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244 Die Ureinwohner Australiens.

wahrscheinlich schon bei seiner Einwanderung nach Australien mit herübergebracht hat. Den Hund finden wir erst in der neolithischen Periode Europas vor. Er war auch das erste Haustier, das die Eingeborenen Amerikas gezähmt haben.

Aus Mangel an Kochgefäßen kann der Australier seine Speisen nicht kochen, er kann sie nur über dem Feuer, auf heißen Steinen, in der Asche rösten oder braten. Wo er mit dem Weißen in Berührung kommt, leuchten ihm sofort die Vorzüge der eigentlichen Kochkunst ein, und er entlehnt gern von jenem das zinnerne Kochgefäß, da er kein Material besitzt, um sich selbst eins herzustellen.

Ackerbau irgend welcher Art ist den australischen Eingeborenen unbekannt. Dieser Satz hat allgemeine Giltigkeit über den ganzen Erdteil hin. An einem kleinen Fleck an der Westküste glaubt man eine Art Pflanzung (einer Dioscorea-Art) beobachtet zu haben. Das ist aber ein einzig dastehender Befund. Im übrigen ist den Stämmen im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen die Kultur des Bodens, das Anpflanzen von Nutzpflanzen irgend welcher Art unbekannt. Alle sind nichts als nomadisierende Jäger, und wesentlich aus diesem Grunde erklärt sich ihr Verharren auf einer so niedrigen geistigen Stufe, erklärt sich auch ihr so gering entwickelter Kunstsinn und viele ihrer eigentümlichen Sitten und Gebräuche.

Das Nomadenleben, das sich bei den Australiern auch noch mit Besitzlosigkeit verknüpft, weil sie weder Viehherden noch Zug- oder Reittiere haben und deshalb kaum irgend welche Habe mit sich führen können, verleiht dem Geiste etwas unstetes, und gerade die Stetigkeit in jeglichem Tun und Treiben ist es ja, die die sicherste Grundlage des Erfolges abgibt.

Die Intelligenz der Australier ist weit geringer als die aller ändern wilden Völker, mit denen ich bisher in Berührung gekommen bin. Der Ackerbauer, auch wenn er nur Kokuspalmen, Yams, Taro oder Bananen pflanzt, blickt voraus in die Zukunft, er tut Arbeit, die ihm erst viel später Nutzen eintragen wird, er denkt der Zeit, wenn der heute gepflanzte Baum groß sein und Früchte tragen wird, er kennt die Reifezeit der Früchte, beobachtet den Wechsel der Jahreszeiten oder Monsune, arbeitet in seinem Geiste viel mit dem Begriff der Zeit, lernt dadurch in viel höherem Grade nachdenken, überlegen, berechnen. Prometheus, der »Vorausdenkende«, war es, der nach der griechischen Sage die Menschen über den tierischen Urzustand heraushob, den Fortschritt der Kultur personifizierte. Das Prome-

theische, Vorausschauende fehlt aber solchen nomadischen Jägern, wie die Australier es sind, vollständig, und damit fehlt ihnen auch


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003