Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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238 Die Ureinwohner Australiens.

Keineswegs behaupte ich die Reinheit der australischen Rasse in dem Sinne, daß sie eine Reinzucht von Urbeginn an darstellt. Wohl aber meine ich, daß durch lange Isolierung und auch dadurch, daß die einförmige Beschaffenheit des Landes und der Lebensweise dem Aufkommen neuer Varietäten nicht günstig war, sich in Australien ein so geschlossener und einheitlicher Typus herausgebildet oder erhalten hat, wie wir ihn sonst nur auf Inseln oder sonstwie abgeschlossenen Lokalitäten, nicht als die weit ausgestreute Bevölkerung eines ganzen Erdteils finden. Wir können wohl einige Varietäten unterscheiden, aber dieselben sind wenig deutlich ausgeprägt; auch ist es bisher nicht gelungen, sie geographisch einigermaßen scharf zu begrenzen.

Derselben Geschlossenheit wie in körperlicher Beziehung begegnen wir, wenn wir die geistigen Gaben und moralischen Eigenschaften, die Kulturstufe sozialer Verhältnisse und Lebensgewohnheiten der Australier untersuchen. Die Rasse erweist sich dabei nicht nur interessant durch das, was sie besitzt, sondern mindestens ebenso durch das, was ihr fehlt. Die negativen Merkmale verdienen ebenso eingehende Beachtung als die positiven.

Die Australier befinden sich in ihrer Kultur noch auf einer Stufe, die dem Steinzeitalter des europäischen Urmenschen entspricht. Die Nutzanwendung und Bearbeitung jeglichen Metalls ist gänzlich unbekannt, wenn auch natürlich diejenigen Stämme, die mit den Weißen in Berührung kommen, die ihnen von jenen überlassenen Stahlmesser und Tomahawks munter handhaben und den selbstgemachten Steinwaffen vorziehen. Alle selbstgefertigten Waffen und Geräte bestehen aus Stein, Muschelschale, Knochen, Holz, Pflanzenfaser, Tiersehne. Diese Tatsache an sich beweist noch keine sehr niedere Kulturstufe.

Die viel höher stehenden Papuas von Neu-Guinea befinden sich ebenfalls noch heute im Zeitalter der Steinzeit, ebenso die östlich davon lebenden Bewohner der Inseln des stillen Ozeans, sofern den letzteren nicht europäischer Einfluß den Fortschritt gebracht hat. Verstanden doch weder die hochzivilisierten Azteken noch die Peruaner zur Inkazeit die Bearbeitung des Eisens, obwohl die übrigen Metalle von ihnen ausgiebig verwendet wurden. Sie lebten eben in einer Bronzeperiode, die auch in Europa der Eisenzeit vorhergegangen ist.

Die charakteristische Eigentümlichkeit derjenigen Steinzeit, in der die Australier noch heute leben, ist aber die Unvollkommenheit und Roheit in der Behandlung des zu Gebote stehenden Materials. Die


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003