Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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210 Rückkehr an den Burnett.

an Farbenschmuck und Sangeskunst versagt hat, ersetzt er durch seine Talente als Baumeister und Dekorateur. Er baut an einsamen Stellen des Scrubs am Boden meterlange Laubengänge, deren Boden und Wände aus künstlich zusammengelegtem und verflochtenem Reisig bestehen. Die Seitenwände sind nach oben zu schräg geneigt, so daß sie hier und da in der Mitte first- oder kuppelartig zusammenstoßen. Die Reisigwand wird dann mit schönen langen Grashalmen sorgfältig austapeziert, der Boden mit Steinchen, am liebsten rundlichen Flußkieseln reihenweise sehr künstlich belegt. Am Eingang und Ausgang wird ein Haufen von besonderen Kostbarkeiten aufgehäuft, Muschelschalen, gebleichte Schädel und andre Knochen von kleinen Säugetieren, besonders Fledermäusen, wie man sie hie und da im Scrub findet, bunte Steine, auch farbige Läppchen, die irgendwo aus einer Niederlassung oder einem Camp gestohlen sind, Federn, grüne oder rote Beeren.

Das sind die Minneplätze der Laubenvögel, hier empfängt das Weibchen die Besuche seiner Bewerber, hier schaut es ihren Laufspielen und Tänzen zu und in diesem Prunkgemach erweicht sich ihr spröder Sinn.

Wenn das Nachtigallenmännchen sein süßes Lied erschallen läßt, der Fink seine Weise schmettert, der Pfauhahn, Birk- und Auerhahn, der Paradiesvogel die Pracht seines Gefieders entfaltet, so tut er dies, um seinem Weibchen zu gefallen, und jede Beobachtung und unbefangene Überlegung spricht dafür, daß das Weibchen an den schönen Klängen, der Farbenpracht und reizenden Zeichnung Freude hat und Wohlgefallen daran findet. Es ist ja richtig, daß nicht alle bunte und schöne Färbung im Tierreiche als Produkt der Auswahl des Schönsten beim Minnewerben entstanden ist, ein Prinzip, welches von Darwin als geschlechtliche Zuchtwahl bezeichnet worden ist. Bei niedrig organisierten Tieren, deren ganzes geistiges Leben viel zu unvollkommen entwickelt ist, als daß bei der Vereinigung der Geschlechter von einer eigentlichen Wahl die Rede sein könnte, dienen die lebhaften Farben und auffallenden Zeichnungen teils als Erkennungszeichen der sich gegenseitig aufsuchenden Artgenossen, teils als Schreckfarben, um die Ungenießbarkeit oder Giftigkeit der Art den Verfolgern schon von weitem her kund zu tun. Es muß zugegeben werden, daß Darwin hie und da zu weit gegangen ist, wenn er die große Mehrzahl der Fälle von auffallender Zeichnung und Färbung im Tierreich auf die Vorliebe des Weibchens für dieselbe und die von letzterem geübte Zuchtwahl zurückführen wollte. Wallace, der große Mitkämpfer Darwins, hat sich ein bedeutendes Verdienst dadurch


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003