Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Geschlechtliche Zuchtwahl auf Grund ästhetischen Wohlgefallens. 211

erworben, daß er eine Menge von Fällen ausschied und anders erklärte, die wohl kaum auf geschlechtliche Zuchtwahl zurückzuführen waren. Nicht jede bunte Färbung und Zeichnung ist als Schmuck aufzufassen. Der Farbenunterschied in beiden Geschlechtern ist oft dadurch bedingt, daß das brütende Weibchen eines Schutzes durch einfache unauffällige Färbung bedurfte, der für das Männchen ohne Bedeutung war. Soweit stimme ich der Wallaceschen Kritik zu. Wenn er nun aber die Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl noch weiter einzuschränken sucht, sie auch bei Schmetterlingen und selbst bei Vögeln fast nirgends gelten lassen will, und sogar Bedenken trägt, sie auf den besonderen Schmuck, den das Männchen als Hochzeitskleid anlegt, auszudehnen, so scheint er mir doch weit über das Ziel hinauszuschießen. Der Hauptgrund für die Herausbildung der phantastischen Büsche, Anhangsfedern, verlängerten Schwanzfedern, für die prächtigen Farben des Hochzeitskleides, wird dann gesucht in der zu dieser Zeit gesteigerten Lebenstätigkeit und Kraftfülle, die den ganzen Körper durchdringt und Stoffwechsel und Wachstumsenergie aller Gewebe erhöht. Die Entfaltung des Gefieders, das Aufrichten und Spreizen der Beifedern und des Schwanzes, auch sie sollen mehr indirekt veranlaßt sein durch die zur Fortpflanzungszeit am höchsten gesteigerte nervöse Erregung, und sie sollen weniger durch ihre Schönheit als dadurch auf das Weibchen wirken, daß sie ein Ausdruck sind für die männliche Reife und Lebensfülle. Dazu bedurfte es aber doch nicht eines so großartigen Apparats, wie es das Hochzeitsgewand eines Paradiesvogels oder eines afrikanischen Witwenvogels darstellt, ein Gewand, das dem Träger sehr tatsächliche Gefahren bringt, da es ihn nicht nur auffälliger, sondern auch unbehilflicher, schwerfalliger macht. Ich selbst habe im tropischen Afrika männliche Exemplare der Paradieswitwe, Vidua paradisea, im Hochzeitskleide beobachtet, die so durch ihre enorm verlängerten Schwanzfedern behindert waren, daß sie nur noch mit Mühe bei Wind fliegen konnten, und im Fluge kaum Herr ihrer eigenen Bewegungen waren. Bringt der Schmuck solche Übelstände mit sich, so muß er zweifellos andererseits seinen eigenen, vollwichtigen Wert haben, sonst würde er durch die natürliche Auslese ausgemerzt oder besser schon in seinem Aufkommen unterdrückt werden. Ein bloßes Beiprodukt der zur Fortpflanzungszeit gesteigerten Lebensenergie, als welches Wallace ihn auffaßt, kann er nicht sein, aus vielen Gründen nicht, vor allen ändern deshalb nicht, weil er oft direkt schädlich ist, und diese seine Schädlichkeit unbedingt durch einen größern Nutzen aufgewogen und überkompensiert sein muß,


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003