Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Australische Mäuse.

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Etwas anders ist die Frage nach der Herkunft der andern nicht domestizierten Placentalier Australiens zu beurteilen. Von den flugbegabten Fledermäusen und den schwimmbegabten Robben und ändern Seesäugetieren ist natürlich ganz abzusehen. Aber sind auch die Nagetiere, sämtlich Mitglieder der Familie der Mäuse (Muridae), deren Australien eine ziemliche Anzahl besitzt, nachträglich eingewandert oder sind sie »Relikte aus vortertiärer Zeit«, als Australien noch in Zusammenhang mit den asiatischen Landmassen stand? Letztere Annahme scheint mir mit der Tatsache unvereinbar, daß unter Nagern gerade die Familie der Muriden nicht etwa eine besonders alte, geschweige denn »vortertiäre«, sondern eine relativ sehr junge ist; denn die ältesten fossilen Reste, die überhaupt bekannt geworden sind, stammen aus dem Miocän. Bei der enormen Häufigkeit und weiten Verbreitung der Muriden können wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß diese Datierung nicht durch spätere Funde wesentlich modifiziert werden wird. Wollten wir nun aber, um dieser Tatsache gerecht zu werden, annehmen, daß Australien sich erst im Miocän von den eurasischen Landmassen abgelöst habe, so wäre das Fehlen der andern Placentalier mit Ausnahme der Muriden in Australien gänzlich unverständlich. Denn im Miocän besaß Asien bereits eine sehr reiche und mannigfaltige Placentalierfauna.

Der natürliche Ausweg aus diesen Schwierigkeiten ist die Annahme, daß die Familie der Muriden, deren Mitglieder sämtlich klein und meistens auch recht widerstandsfähig sind, die ferner größtenteils ein respektables Schwimmvermögen besitzen — einige australische Muriden wie Hydromys chrysogaster und Mus fuscipes sind als echte Wassertiere zu bezeichnen —, nach der Isolierung Australiens von der übrigen Welt dort eingewandert, zum Teil wohl auch eingeschleppt worden s t. Ein Vertreter (Mus maorinus) hat ja sogar Neuseeland erreicht. Ist das auch ein »vortertiäres Relikt« ?

Es muß zugegeben werden, daß man früher bei zoogeographischen Betrachtungen es sich zuweilen etwas leicht gemacht hat, wenn man eine Art, deren Vorhandensein an einer bestimmten Lokalität auf dem Wege kontinuierlicher Besiedelung schwer erklärlich schien, kurzerhand durch Treibholz verschleppt, durch Menschen importiert, durch andere Zufälligkeiten verschlagen sein ließ. Die Reaktion gegen ein solches Verfahren, die unter der Führung der verdienstvollen Forschungsreisenden Paul und Fritz Sarasin eingesetzt hat, scheint mir aber weit über das Ziel hinauszuschießen, wenn sie von einer diskontinuierlichen Besiedelung fast ganz absieht und überall zur Erklärung der Verbreitung der Landtiere hypothetische Landbrücken


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003