Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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196 Rückkehr an den Burnett.

sie aus ihren Astlöchern heraus holten, wenn sie tagsüber der Ruhe pflegten. Die Gefangenen zeigten sich ungemein wild, bissig, unverträglich, wahre kleine Teufel. Die meisten Weibchen hatten um diese Zeit schon kleine Beuteljunge, meistens eins, zuweilen zwei. Bei Trichosurus dagegen fand ich stets nur ein Junges.

Nachts wurden wir jetzt sehr durch die Dingos belästigt, die sich bis in die nächste Nähe unseres Lagers wagten, wo die um diese Zeit läufische Hündin Topsy eine starke Anziehungskraft auf sie ausübte. Ihr Gefährte Jack war über die dreiste Annäherung auf das höchste empört und äußerte seine Entrüstung durch stundenlanges Bellen. Zwischen gezähmten Hunden und Dingos besteht eine Abneigung und Feindschaft wie zwischen Hund und Fuchs. Über den Familienzwist triumphiert aber die alles bezwingende Liebe, und der Sproß des feindlichen Hauses trotzt kühn der Gefahr bis in das Lager des Todfeindes hinein, gehüllt in den Mantel der Nacht. Immerhin waren jene stürmischen Werber aber noch vorsichtig genug, mich nie zu Schuß kommen zu lassen, wenn ich mit dem Gewehr heranschlich. Überhaupt gelang es mir selten, die vorsichtigen und schlauen Dingos zu erlegen, so häufig sie auch in jenen Gegenden waren. Die Squatters vergiften viele von ihnen, indem sie mit Strychnin vergiftete Fleischbrocken an ihren Wechseln ausstreuen. In der Nähe der Stationen findet man oft die verwesenden Kadaver und hat auf seine eigenen Hunde acht zu geben, damit sie nicht die Giftbrocken aufnehmen, die ihren wilden Verwandten, den gefährlichen Feinden der Schafherden und versprengten Kälber, bestimmt sind.

Den Dingo hat man meiner Ansicht nach für einen verwilderten Haushund, nicht für einen eigentlichen Wildhund anzusehen. Dafür spricht der ganze Habitus des Tieres, dafür auch schwerwiegende zoogeographische Gründe. Sein nächster Verwandter unter allen domestizierten und wilden Hunden ist der indische Pariahund und zwar die Varietät desselben, die von Kohlbrugge als Canis familiaris var. tenggerana von den Tenggerbergen auf Ostjava beschrieben worden ist. Abgesehen von geringfügigen Unterschieden in der Behaarung ist der erst kürzlich ausgestorbene Tenggerhund mit dem australischen Dingo fast identisch. Es ist nun in hohem Grade wahrscheinlich, daß ein Verwandter dieses Tenggerhundes von den Eingeborenen bei ihrer Einwanderung aus der indischen Region nach Australien als ein halbgezähmter Jagdgenosse mitgebracht worden ist und sich mit ihnen und daneben auch in verwildertem Zustande rasch über das ganze für Placentalier jungfräuliche Gebiet des Kontinents ausgebreitet hat. Neu-Guinea hat er wahrscheinlich erst viel später und zwar auch da wieder


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003