Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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190 Rückkehr an den Burnett.

Zurückreiten mein Lager wiederzufinden, und strengte mich anfangs immer sehr an, mir beim Umherstreifen den Weg, den ich genommen, einzuprägen. Später fand ich eine einfachere Methode. Wenn ich mein Pferd Schamyl ritt, brauchte ich nur die Zügel nachzulassen und dem Pferde das Übrige anheimzustellen. Es ging dann stets direkt nach dem Ort zurück, an dem sich eben das Lager befand und seine Kameraden weilten. Es folgte dabei nicht etwa den Umwegen, auf denen wir gekommen waren, sondern ging in gerader Richtung und machte höchstens Umwege um Terrainhindernisse herum. Es führte dieses Kunststück auch aus in Gegenden, in denen es nie zuvor gewesen war, und unmittelbar nachdem wir ein neues Lager bezogen harten. Schon im vorigen Jahre hatte ich beobachtet, daß bei der Rückkehr von weiten, mehrtägigen Ritten durch von uns noch unbetretenes Gebiet dieses Pferd, wenn ich noch mehrere Kilometer vom Camp entfernt war, dem Orte desselben in gerader Richtung zuzustreben begann und ihn viel untrüglicher traf, als ich selber. Wenn ich aus meinen eigenen, oft wiederholten Erfahrungen in dieser Beziehung einen Schluß ziehe, so komme ich zu der Annahme, daß das Pferd den Ort auf sehr weite Entfernungen wittern muß. Wären es Auge und Gedächtnis, von denen es sich leiten ließe, so würde die Orientierung in einer unbekannten Gegend nicht gleich da sein, sondern das Tier würde sich zunächst nur auf Umwegen, dem Hinweg folgend zurückfinden, und allmählich würde die Orientierung, die Fähigkeit, direkt an den Lagerplatz zurückzukehren, wachsen. Daß das Pferd außerdem noch ein ausgezeichnetes Ortsgedächtnis besitzt, ist nicht in Abrede zu stellen; doch ist das eine von der beschriebenen verschiedene Fähigkeit.

Der Ortssinn ist überhaupt ein geistiges Vermögen, das sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt und bei dem sehr verschiedenartige Sinnes- und Verstandestätigkeiten in Frage kommen. Von Sinnestätigkeiten steht dabei wohl der Gesichtssinn in erster Linie, denn das Zurückfinden an einen Ort vermittelst des Witterungsvermögens, wie es der Hund auf der eigenen oder der Spur des Herrn ausübt, darf man nicht eigentlich als Ortssinn bezeichnen. Aber auch von letzterer Fähigkeit können wir sehr verschiedene Stufen und Grade unterscheiden. Das Wiedererkennen eines bestimmten, einmal gemachten Weges ist eine viel niederere Stufe als die allgemeine Orientierung über Höhenzüge, Wasserläufe, Beschaffenheit der Vegetation, die es ermöglicht, von jedem beliebigen Punkte aus einen beliebigen ändern Punkt zu erreichen. Um letztere Fähigkeit zu erlangen, ist eine Orientierung über weite Flächen des Bodens notwendig, und um


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003