Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Naturgeschichte der Beuteltiere. 189

die Ortsbewegung jener Tiere. Wie Springmäuse hüpfen die Känguruhs über das offene Land, einige von ihnen, so die Felsenwallabies, vermögen aber auch im Gebirge ihre Sprünge mit der Sicherheit einer Gemse auszuführen, und das Baumkänguruh (Dendrolagus) übt seine Künste in den Kronen der hohen Urwaldbäume. Mit der Gewandtheit von Eichhörnchen klettern die australischen Opossums, die Kuskus und die Buschratten (Phascologale), wie ein Flughörnchen schwebt der Flugbeutler Petaurus von Baum zu Baum, bedächtig wie ein Faultier klettert Phascolarctos. Schleichend ist der Gang des Beutelmarders, trabend der des Beutelwolfs. Im Grase, in Felshöhlen, in hohlen Baumstämmen, am Boden oder auf den Bäumen hat die eine oder die andre Beuteltierart Versteck und Lager, nach Kaninchenart bauen die Wombats ihre langen, tiefen Gänge unter der Erde, ganz unterirdisch ist die Lebensweise des erst vor kurzem im tiefsten Innern des Erdteils entdeckten blinden Notoryctes typhlops, der in Lebensweise und Aussehen einem Maulwurfe gleicht. Aber alles das sind keine Maulwürfe, Eichhörnchen, Flughörnchen, Ratten, Springmäuse, Spitzmäuse, Marder und Wölfe. Es sind alles Beuteltiere, unter sich trotz aller äußeren Verschiedenheit unendlich näher verwandt, als mit irgend einem placentalen Säugetier, dem sie nach Aussehen, Bewegungsart und Lebensweise gleichen und dessen Namen sie tragen. Auch darf man sich nicht vorstellen, daß die placentalen Raubtiere aus Raubbeutlern, die echten Springmäuse aus Känguruhs, unsre Maulwürfe aus Beutelmaulwürfen entstanden seien. Der Übergang vom Beuteltier in das placentale Säugetier ist vielmehr nur einmal, wahrscheinlich von einer wenig spezialisierten Gruppe von Beuteltieren erfolgt, und aus einer Urgruppe von Placentatieren haben sich divergierend all die verschiedenen Zweige wie Insektenfresser, Nager, Huftiere, Raubtiere, Halbaffen, Affen und so weiter entwickelt. Die äußere Ähnlichkeit zwischen gewissen Gruppen der Beuteltiere und Placentalier ist eine Konvergenzerscheinung, bewirkt durch Anpassung an ähnliche Lebensbedingungen, ähnlich zu beurteilen, wie die Ähnlichkeit zwischen Asseln und Tausendfüßlern, Fischen und Walen, Vögeln und Fledermäusen. Äußere Ähnlichkeit beweist noch nicht Blutsverwandtschaft. Echidna, Stachelschwein und Igel besitzen untereinander keine nähere Verwandtschaft, so ähnlich sie sich sehen: wohl ist aber das eine Geschöpf mit dem Schnabeltier, das andere mit dem Meerschweinchen, das dritte mit dem Maulwurf verwandt.

Da ich in dieser Zeit oft den Ort meines Lagers verlegte und auf meinen Ritten den spürenden Hunden kreuz und quer durch Busch und Dickicht folgte, hatte ich manchmal Schwierigkeit, beim


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003