Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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l88 Rückkehr an den Burnett.

vergleichend-anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Gründen werden wir dahin geführt, die Placentalier für die Abkömmlinge beuteltierähnlicher Vorfahren zu halten. Nun sehen wir aber, wenn wir weiter die steinernen Blätter des Geschichtsbuches unsrer Erde entziffern, daß, je höher sich die placentalen Nachkommen entwickeln, je weiter sie sich ausbreiten, je zahlreicher sie werden, um so mehr ihre Vorfahren, die primitiv gebauten, unvollkommeneren Beuteltiere, zurücktreten, seltner werden, endlich im Miocän in der alten Welt ganz aussterben. Nur in Amerika hat sich eine einzige Beuteltierfamilie, die Familie der Beutelratten, vertreten durch Didelphys, das echte oder amerikanische Opossum, und Chironectes, den Schwimm-beutler, bis in unsre Zeit erhalten. Sonst haben sie überall im Kampfe ums Dasein ihren besser gerüsteten Enkeln, den Placentaliern, das Feld räumen müssen.

Anders in Australien. Dort fehlen mit Ausnahme der flugbegabten Fledermäuse, der schwimmbegabten Seesäugetiere, des verwilderten Dingohundes sowie einiger Mitglieder der kosmopolitischen wanderlustigen Familie der Mäuse alle sonstigen Placentalier wie Affen und Halbaffen, Maulwürfe und Spitzmäuse, Katzen und Marder, Eichhörnchen und Hasen, Hirsche und Schweine usw. Ihre Stelle im Haushalt der Natur wird eingenommen von Monotremen und Beuteltieren. Wir müssen daraus den Schluß ziehen, daß Australien seit der Zeit, zu welcher auf der übrigen Erde Placentalier aus beuteltierähnlichen Vorfahren hervorgegangen sind, außer Verbindung mit den übrigen Erdteilen gewesen ist und deshalb nicht von jenen aus durch Einwanderung mit höheren Säugetieren bevölkert werden konnte.

Ebensowenig haben sich selbständig in dem kleinen, einförmig gearteten Kontinent Placentalier aus Beuteltieren entwickelt. Ungestört konnten sich letztere dort entfalten, den Wald, das Flußufer, das Felsgebirge, die Grassteppe als unbestrittenen Wohnsitz behaupten, den Bedingungen ihres Standorts sich in mannigfachster Weise anpassen. Manche äsen das Gras des Busches, wie die Känguruhs und Wallabies, andre graben nach Wurzeln und Knollen, wie die Känguruhratten, wieder andre beziehen ihre Nahrung von den Eucalyptus-bäumen, wie Phascolarctos, das australische Opossum, die Flugbeutler. Die Bändikuts, Ameisenbeutler (Myrmecobius) und spitzmausähnlichen Beutelbilche (Phascologale, Antechinomys) sind vorwiegend Insektenfresser, die Beutelmarder und Beutelwölfe vorwiegend Fleischfresser mit einem Gebiß, das an das der placentalen Raubtiere erinnert. Mannigfaltig wie die Ernährung ist der Aufenthalt, die Lebensweise,


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003