Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Lebensweise der Ameisenigel. 175

von dem gemäßigten Tasmanien, das eine mittlere Wintertemperatur von 8° C. hat und gelegentlich eine winterliche Schneedecke trägt, bis nahezu zum Äquator. Viel beschränkter ist die Verbreitung des Schnabeltiers, Ornithorhynchus anatinus, dessen einzige Gattung und Art nur das südöstliche Viertel des Kontinents sowie Tasmanien bewohnt, hingegen im Westen und in den nördlichen Teilen des Ostens nordwärts von 18° s. Br. v. Gr., sowie in Neu-Guinea fehlt.

Innerhalb ihres Verbreitungsbezirkes trifft man die scheuen Ameisenigel nun keineswegs überall an. Nur dichte unzugängliche Scrubs und Urwälder, wilde zerrissene Felsgegenden werden von ihnen be- . wohnt; höchst selten findet man vereinzelte Exemplare im offenen lichten Busch und selbst aus den dichten Scrubs ziehen sie sich zurück, wenn in ihrer Nähe menschliche Ansiedlungen emporwachsen. So erhielt ich in Gayndah innerhalb acht Tage nur ein einziges Exemplar, und meine Schwarzen weigerten sich, dort überhaupt in den nahegelegenen Scrubs nach ihnen zu suchen.

Doch auch da, wo die Tiere häufig sind, kann man jahrelang leben, ohne ein einziges zu Gesicht zu bekommen, und viele Kolonisten, die sonst jedes Tier und jede Pflanze im Busch kennen, haben nie oder doch nur ausnahmsweise einen Ameisenigel gesehen. Dies liegt nicht allein an der Lebensweise der Tiere, die eine vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich nächtliche ist. Die meisten Baumbeuteltiere, wie das allbekannte australische »Opossum« (Trichosurus), die Flugbeutler (Petaurus), sind auch nächtliche Tiere, und dennoch kennt sie jedermann; sie bilden charakteristische Erscheinungen der australischen Mondscheinlandschaft.

Bei Echidna kommt zu der nächtlichen Lebensweise noch die Unzugänglichkeit ihrer Standorte und das scheue, geräuschlose Wesen der Tiere selbst hinzu, die, sobald Gefahr zu drohen scheint, ihre Wanderung einstellen und wie durch Zauberkraft in wenigen Minuten geräuschlos im Boden verschwinden.

Auf seinen nächtlichen Streifzügen sucht der Ameisenigcl nach Würmern und Kerbtieren aller Art, die er mit seiner spitzen, rüssel-förmig verlängerten Schnauze aus ihren Verstecken in Erdlöchern, zwischen Steinen, unter morscher Rinde aufstöbert. Seine Hauptnahrung aber bilden Ameisen, die er wie andre Ameisenfresser er-

beutet, indem er seine lange Zunge in den Ameisenhaufen steckt, bis dieselbe von den bissigen Insekten bedeckt ist, und sie dann schnell wieder einzieht. Seine äußere Körperhaut ist so fest und dick, daß sie ihn wie ein Panzer gegen die Bisse der Ameisen schützt, die in Australien durch ungemein streitbare und wohlbewehrte Völker vertreten


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003