Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Emus. 163

Körper, wie der eines jungen Emus, würde nun auf der Erde, besonders auf der Grassteppe viel auffallender erscheinen, wenn er gleichmäßig, wenn auch unscheinbar gefärbt wäre, als wenn seine Färbung durch Flecken oder Streifen unterbrochen ist. Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, wie schwer ein junger Emu im Grase zu entdecken ist, wenn er sich platt auf den Boden drückt. Im gleichförmigen Sande würde ihn seine Streifung auffälliger machen, hier läßt sie ihn verschwinden. Ähnliches beobachten wir auch bei andern Tieren. Der Löwe, der mit Vorliebe im offenen Terrain, auf kümmerlichen Strauchsteppen, in kahlen Berggegenden, im Sande der wasserarmen Flußläufe jagt, und dieselben den Dickichten und Urwäldern entschieden vorzieht, ist ziemlich gleichmäßig sandfarben. Der Tiger, ein Bewohner der hohen Schilfdickichte, der Bambusgebüsche, des »Djungels« ist schön gestreift. Bei diesen Raubtieren dient die mit der Umgebung übereinstimmende Färbung natürlich nicht zum Schutz, sondern sie gestattet ihrem Träger, sich unbemerkt seiner Beute zu nahen, und macht ihn unsichtbar, wenn er im Versteck auf ihr Herankommen lauert.

Wenn der junge Emu heranwächst, wird er zu groß und zu kräftig, um noch von irgend einem Raubvogel geschlagen zu werden. Dann verschwindet die schützende Streifung seines Kleides. Ungefährdet wandelt dann der majestätische Vogel durch die ungeheuren Buschwälder seiner Heimat, die kein Geschöpf beherbergen, das ihm Gefahr bringen könnte, mit Ausnahme natürlich des furchtbarsten von allen, des Menschen. Das Märchen, daß die afrikanischen Strauße, wenn verfolgt und eingeholt, den Kopf in den Sand stecken, weil sie glauben, wenn sie den Verfolger nicht sähen, auch von ihm nicht gesehen zu werden, ist wohl dadurch entstanden, daß sich manchmal die afrikanischen Strauße vor reitenden Jägern hinter Hügeln und Bodeneinsenkungen zu verstecken suchen, statt zu fliehen. Auch duckt sich zuweilen die brütende Henne und bleibt regungslos liegen, wohl eine Reminiscenz an die Jugendzeit, als es notwendig war, sich vor den Augen der verfolgenden Raubvögel regungslos auf den Boden zu drücken.

Meine beiden jungen Emus legten sich übrigens auch ohne im mindesten beunruhigt zu sein platt auf die Erde und streckten Beine sowie Hals und Kopf weit von sich. Oder sie ruhten in sonderbar knieender Stellung und ließen sich behaglich von der Sonne bescheinen. Die beiden drolligen Geschöpfe waren unzertrennlich von einander und lebten in größter Eintracht. Kam eins einmal außer Sehweite des andern, so lockten sie sich sogleich mit lauter, piepender Stimme.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003