Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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146 Ein Ausflug in das Quellgebiet des Burnett.

Den Tag zuvor hatten wir am Nachmittage zu Pferde einen höchst interessanten Ausflug nach der sogenannten »Gorge« gemacht. Der Weg dahin führt über weite, mit üppigem Graswuchs bedeckte Ebenen, die von anmutigen Bergzügen umsäumt sind. Überall stößt man auf Sümpfe, Weiher und Lagunen, dicht mit Binsen und Schilf bewachsen, von zahllosen Wasservögeln bewohnt. Die Gorge selbst ist eine Felsenenge, durch die der Three Moon Creek fließt. In beinahe senkrechtem Absturz senken sich die Felsenmauern zu beiden Seiten zum Fluß herab, das Gestein ist stark ausgewittert, von Höhlen durchsetzt, so daß es an einigen Stellen die Wälle und Bastionen einer Festung nachahmt und von den Ansiedlern »Castle Mountain« genannt wird. Die Höhe der Wände beträgt mindestens 100 Meter. Das Gestein ist der berühmte australische Wüstensandstein, der der oberen Kreide angehört. Zweifellos lag früher das ganze umliegende Gebiet eben so hoch als die Höhe der Wände der Gorge. Durch Denudation ist es allmählich abgetragen worden und nur die beiden Sandsteinmauern, die jetzt die Gorge umfassen und gegen das Goldfeld Cania hin weiter auseinanderweichen, sind stehen geblieben. Ein noch berühmteres Beispiel der Denudation bildet die bekannte Chambers-Säule im Mac Donnel-Gebirge in Inneraustralien, eine 150 Fuß hohe Säule in einer Sandsteinebene, umgeben von andern ragenden Sandsteinfelsen, die alten verfallenen Schlössern und Burgen gleichen.

Am rechten Ufer des Creek hinter der Gorge befindet sich ein dichter Scrub, der von einer Anzahl von Wasserläufen durchzogen wird. Dieser Scrub war mir im höchsten Grade interessant, weil er in seiner Vegetation mit den Scrubs, die man sonst im Innern des australischen Kontinents findet, nicht die geringste Ähnlichkeit hat. Er gleicht vielmehr durchaus einem tropischen Urwald, wie man ihn sonst in diesem. Teile Queenslands nur in der Nähe von Küsten findet. Statt der für das australische Dickicht so charakteristischen Akazien, Eucalypten, tea-trees und Casuarinen stehen da die Charakterbäume des tropischen Urwaldes, vor allem Palmen und verschiedene Arten von Baumfarnen. Lianen schlingen sich von einem Baum zum andern; im Geäst wuchern Orchideen und mächtige epiphytische Farnkräuter wie die »crow nest fern«, Asplenium nidus, und die »stag horn fern«, Platycerium alcicorne, mit ihren wunderbar geformten Blättern, die die Form eines Elengeweihs nachzuahmen scheinen. Man sieht sich plötzlich in eine andre Welt versetzt. Legt man sich die Frage vor, wie dieser plötzliche Wechsel in der Vegetation zu erklären ist, da doch hier sonst überall in der Umgebung, auch dort, wo der Boden das Wasser zurückhält und eine sumpfige Beschaffenheit hat, eine


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003