Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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»Camp drafting«. 145

zerstreut hatten. Durch Zufall stießen am folgenden Abende bei einem Spazierritte Frau Dixon, Herr McCord und ich auf den Haupttrupp der Ausreißer und konnten ihn zur Station zurücktreiben.

Herr McCord war hauptsächlich gekommen, um tausend fette Rinder auszusuchen, die zum Verkauf nach Sydney bestimmt waren. Ich lernte hier eine der interessantesten Seiten des »stockwork« kennen, nämlich das »camp drafting«, das Ausmustern gewisser Stücke aus einer größeren Rinderherde. Die Herde wird dazu auf einen passenden Platz getrieben, und eine Anzahl Reiter umkreist sie langsam, so lange die Arbeit dauert, damit sie sich nicht weit vom Platze entfernen oder zerstreuen kann. Wir trieben uns gewöhnlich Herden von 5 bis 800 Stück zusammen und Herr McCord bezeichnete eins nach dem ändern die Exemplare, welche ihm zum Verkauf geeignet schienen und die von der übrigen Herde zu trennen waren. Letztere Procedur wird so vorgenommen, daß ein Reiter auf einem guten und wohl zugerittenen Pferde das betreffende Stück aus der Herde heraustreibt. Das ist keine leichte Sache, wenn die Herde groß ist, weil das verfolgte Tier stets versucht im Bogen auszuweichen und sich wieder zum Gros zu gesellen. Auch sollen keine Stücke, die nicht ausgewählt sind, aus dem großen Kreise herausgetrieben werden. Die Stockpferde leisten bei dieser Arbeit vorzügliche Dienste. Sie wissen genau, worauf es ankommt, und sind mit Feuereifer bei der Sache. Sie beobachten jede Bewegung des Rindes, schneiden ihm den Weg ab, wenn es einen Bogen machen will, kurz beweisen einen wahren Menschenverstand. Sie benehmen sich dabei so selbständig, machen oft so plötzliche Wendungen, wenn das Tier, hinter dem sie her sind, seine Richtung ändert, daß ein schlechter und unaufmerksamer Reiter bei dieser Gelegenheit leicht abgeworfen werden kann. Die herausgetriebenen Stücke werden dann ihrerseits von einer Anzahl von Reitern umkreist und verhindert, sich mit der Hauptherde wieder zu mischen. Anfangs, wenn es ihrer erst wenige sind, muß man scharf aufpassen, denn die Isolierung gefällt ihnen durchaus nicht. Wächst aber die Zahl der herausgetriebenen Stücke, so betrachten sie sich bald als eine selbständige kleine Herde und gehen unbekümmert ihrem Weidegeschäft wieder nach.

In den folgenden Tagen durchstreifte ich mit Herrn McCord und einigen Stockmen einen großen Teil des Gebiets von Cania; ich sah viel camp drafting und konnte nach Herzenslust Enten und Gänse schießen. Ziemlich anstrengend waren diese Ritte allerdings; wir waren zum Beispiel am 20. Dezember, einem sehr heißen Tage, von morgens 6 bis abends 6, ohne viel Unterbrechung, zu Pferde.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003