Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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72 Erste Erfahrungen im Busch.

zu fangen, denn seine Spur folgte nicht mehr der Spur des Pferdes, er scheint aber über seine Richtung beim Herumwandern gänzlich ins Unklare gekommen zu sein. Zunächst hat er versucht, seinen alten Lagerplatz wieder zu finden; als ihm das nicht gelang, ist er planlos herumgeirrt, statt konsequent in einer Richtung vorwärts zu wandern. Mit jedem Tage wurden die Strecken, die er zurücklegte, kürzer, wie man aus den Camps, die er sich jeden Abend machte, erkennen konnte. Als man seine Leiche endlich auffand, konnte man sehen, daß der Tod schon vor längerer Zeit eingetreten war, augenscheinlich durch Erschöpfung und Nahrungsmangel. Dieser Fall ist ein ganz typischer für die Hauptgefahr, die im Bereisen des sonst nicht eben an Gefahren reichen australischen Busches liegt. Die Pionier-Ansiedler, die kühnen Goldsucher sind sich derselben wohl bewußt, und sie lieben es daher, weite Vorstöße in zu erschließendes unbe-siedeltes Gebiet nicht ganz allein, sondern mit einem Kameraden, einem ğmateĞ zu machen. Hat man mehrere Pferde, so ist überhaupt die Gefahr nicht groß, man bindet dann gern die Nacht über ein Pferd an einen Baum oder stellt es in eine improvisierte Hürde und läßt den Rest unbekümmert weiden. Hat man ein Pferd bei der Hand, so macht es keine Schwierigkeit, die übrigen einzufangen, auch wenn sie sich weit vom Camp entfernt haben, oder wenn sogar das eine oder das andre seine Fesseln gebrochen hat. Das Einfangen der frei weidenden Pferde ist überhaupt häufig eine zeitraubende und Arger bereitende Sache, die mir besonders verhaßt war, weil sie mich oft einige der zum Reisen angenehmsten Morgenstunden kostete.

Übrigens lag für mich bei jenem Vorkommnis eine eigentliche Gefahr nicht vor, selbst wenn ich das Pferd verloren hätte, weil ich über die Gegend im allgemeinen orientiert war und mich schon durch die leicht zu erreichenden Wasserläufe zu meinem neuen Camp oder nach Coonambula oder Cooranga zurecht gefunden hätte. Viel schwieriger ist das natürlich in einer Gegend, die mehr Wüsten-Charakter hat, und in der keine Orientierung durch die Wasserläufe möglich ist. Hat man sich in einer Gegend verirrt, über die man durchaus nicht Bescheid weiß, so wird es sich immer empfehlen, den Wasserläufen stromabwärts zu folgen. Man hat dann die meiste Aussicht, auf menschliche Ansiedlungen zu stoßen.

Am Nachmittag machte ich mich mit Frank auf, um die verlorenen Sachen zu suchen. Frank vermaß sich hoch und teuer, es würde ihm nicht die geringste Schwierigkeit machen, die Stelle aufzufinden, er brauche ja nur meinen Spuren zu folgen, die er vom


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003