Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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70 , Erste Erfahrungen im Busch.

einem Dachs keine Ähnlichkeit, viel mehr mit einer stark vergrößerten Spitzmaus. Mein Gewehr war mit Sattel, Hut, Sporen, Patronengürtel am Lagerplatz zurückgeblieben, so konnte ich nicht einmal das beim Mondlicht sich bequem zum Schuß bietende Wild erlegen. Weiter wanderte ich umher, mein Pferd am Zügel, immer in hoffnungsvoller Erwartung, immer wieder getäuscht. Ich kam an eine Stelle, an der ein mächtiger gestürzter Baum lag, der in seinem Innern zum größten Teil hohl sein mochte. Aus ihm drang mir Heulen und Knurren wie von einer Schar junger Hunde entgegen, und ich zweifelte nicht, daß ich an ein Nest einer Dingo-Hündin geraten sei. Ich bin einige Tage darauf wieder an die Stelle zurückgekehrt, um die Jungen auszunehmen, habe aber den Platz nicht wieder finden können.

Stundenlang bin ich so herumgewandert und fühlte endlich, daß die Füße mich kaum noch weiter tragen würden; mein Pferd ließ sich willenlos hinter mir herziehen. Es war eine herrliche mondhelle Nacht, lange nicht so kalt wie ihre Vorgängerinnen, was für mich eine große Annehmlichkeit war. Gegen 1 Uhr sah ich ein, daß alles weitere Herumsuchen bei Nacht keinen Sinn hätte; das Feuer mußte längst niedergebrannt sein, weil seit Stunden nicht nachgelegt worden war. Das Beste also war, ich legte mich bis Tagesanbruch zur Ruhe und setzte mein weiteres Suchen bei Tageslicht fort. So wählte ich mir denn eine passende Stelle am Rande des Scrubs, band mein Pferd an einen Baum, entzündete ein zweites Feuer — zum Glück hatte ich die Zündhölzchen in meiner Tasche behalten -und schlief wie ein Toter auf der nackten Erde unbedeckt an der Seite des Feuers; hier und da wachte ich auf und legte nach. Mein Pferd stand traurig und gesenkten Hauptes an seinem Baume. Geschieht dir schon recht, dachte ich und schlief weiter.

Endlich war die Nacht zu Ende, eine der längsten, die ich je durchlebt habe, obwohl sie nur 12 Stunden dauerte, und nun sah ich zum ersten Mal bei Tageslicht den Schauplatz meines nächtlichen Umherirrens. Ich befand mich am Rande eines sehr dichten Scrubs, der dadurch besonders unwegsam war, daß er an vielen Stellen mit Sümpfen und kleinen versumpften Weihern durchsetzt war. Mein Suchen nach dem ersten Lagerplatz und meinen Sachen war übrigens am Morgen ebenso vergeblich wie in der Nacht. Überall fand ich meine eigenen Spuren, aber sie rührten von meinen Wanderungen nach dem Verlust der Gegenstände her.

Nach zwei Stunden faßte ich den Entschluß, mich mit den Tatsachen abzufinden. Es war keine angenehme Aussicht für mich, in mein Lager zurückzukommen, barhäuptig, sattellos, ohne Gewehr


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003