Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Schwierigkeit des Innehaltens der geraden Richtung. 65

andre nach links. So kommt es in Australien gar nicht selten vor, daß unerfahrene Reisende des Morgens einen Ort verlassen und, wie sie denken, in schnurgerader Richtung auf einen ändern zustreben, dessen Lage ihnen angegeben worden ist. Nach eintägigem Marsche sehen sie denn auch eine Ortschaft vor sich auftauchen; es ist aber nicht ihr Zielpunkt, sondern ihr am Morgen verlassener Ausgangspunkt, den sie einen großen Kreis beschreibend wieder erreicht haben. Noch mehr wie die Menschen neigen die Pferde dazu, von der geraden Richtung abzuweichen, wenn sie im weglosen Busch nur eben geradeaus gehen sollen und den Zielpunkt nicht selbst kennen. Mein Pferd Schamyl ging, wenn ich auf ihm zu dem ihm bekannten Camp zurück reiten wollte, stets in gerader Richtung auf dasselbe zu, indem er über sein Ziel in einer mir unerklärlichen Weise orientiert zu sein schien. Versuchte ich aber nur eben in beliebiger Richtung geradeaus zu reiten, so wichen alle Pferde, die ich geritten habe, das eine rechts, das andre links ab, so daß manche schon in Zeit einer halben Stunde die östliche Richtung in die nordöstliche verwandelten, wenn man sie nicht durch genaues Aufmerken daran verhinderte.

An jenem Tage richtete ich mich nach einem kleinen Taschenkompaß, den ich von Europa mitgebracht hatte und den ich später nicht weiter benutzte, weil die Orientierung durch den Stand der Sonne vollkommen genügt. Es war 12 Uhr, als ich von Cooranga abritt, und da die Sonne gegen 6 Uhr unterging, hatte ich volle 6 Stunden, Zeit genug, um eine Entfernung von 30 Kilometern bequem zurückzulegen. Ich beeilte mich also nicht, sondern verlor zunächst eine halbe Stunde dadurch, daß ich an einige Enten, die ich beim Überschreiten des Boyne in einer Entfernung stromabwärts im Wasser schwimmen sah, heranzuschleichen versuchte. Es war nahezu 1 Uhr, als ich den Boyne verließ und nun in gerader Richtung auf die Auburn-Mündung zuritt. Zunächst ging alles gut, es war ein schöner warmer Tag, noch nicht übermäßig heiß, der Himmel blau und wolkenlos. Das Gras, welches den Boden zwischen den hohen Eucalyptus-Bäumen bedeckte, so weit das Auge reichte, begann nunmehr üppiger zu treiben und das Land mit frischem Grün zu schmücken. Nach einstündigem Reiten stellte sich mir aber plötzlich ein Hindernis in den Weg, auf das ich ganz unvorbereitet war. Ich traf nämlich in gerader Richtung auf einen, wie es schien, endlos sich nach rechts und links ausdehnenden Scrub. Sollte ich versuchen, das Hindernis seitlich zu umgehen, oder es unternehmen, das Dickicht zu Pferde zu durchqueren? Der erstere Versuch hätte


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003