Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Eucalyptuswald. 2 n

Nur die Gräser und solche Pflanzen, die ihre Wurzeln nicht über eine oberflächliche Erdschicht hinab in die Tiefe erstrecken, vermögen in jenem Umkreis zu gedeihen, besonders auch deshalb, weil die Bäume des australischen Buschwaldes, die der überwiegenden Mehrzahl nach der Familie der Eucalypten angehören, diesen Umkreis so gut wie nicht beschatten. Zwar sind die Eucalypten reich verästelt und reich belaubt. Die Blätter sind aber sämtlich klein, und da sie vertikal herabhängen und ihre Spreite nicht parallel zum Erdboden gestellt ist, wird fast gar kein Schatten geworfen, wenn die Sonne hoch steht, und das tut sie in diesen Breiten den größten Teil des Tages über. So kann das Gras üppig unter und zwischen den Bäumen gedeihen; denn Licht hat es in Fülle und es entnimmt die Feuchtigkeit, deren es bedarf, oberflächlicheren Bodenschichten, als es die Wurzeln seiner gewaltigen Nachbarn tun. Doch ist letzteres nur mit gewisser Einschränkung gültig. Tötet man nämlich in einem gewissen Bezirk alle Bäume ab, so wird der Graswuchs üppiger und kann mehr als die doppelte Anzahl von Weidetieren ernähren als vorher. Von dieser Erfahrung ausgehend pflegen die Squatters in bestimmten, auch sonst zur Weide geeigneten Flecken ihrer Pachten sämtliche Bäume zu töten, indem sie dieselben »ringeln«. Das Ringeln geschieht auf zwei Weisen. Entweder man entfernt etwa in halber Mannshöhe über dem Boden blos die Rinde in einem Gürtel von 30—40 cm Breite. Oder aber man entfernt einen viel schmäleren Ring, schlägt aber noch tief in das junge Holz, den Splint hinein. Die zweite Methode ist die sicherere, rascher wirkende und wird jetzt vorwiegend angewandt. So geringelte Bäume sterben in vier bis sechs, höchstens in acht Monaten ab. Da das Holz der Eucalypten und Akazien aber ein sehr festes, widerstandsfähiges ist, bleiben die Baumleichen noch viele Jahre lang aufrecht stehen, bis sie endlich nach und nach durch Sturm oder Buschfeuer umgestürzt und gänzlich vernichtet werden. Es gibt keinen trostloseren Anblick als eine Landschaft mit geringelten, abgestorbenen Bäumen, wo meilenweit die Baummumien ihre dürren, blattlosen Äste über das frisch unter ihnen grünende Gras emporrecken, ein Vorzeichen dafür, daß die Tage selbst der ungeheuren Buschwälder Australiens gezählt sind und in absehbarer Zeit der menschlichen Übermacht zum Opfer fallen werden. Augenblicklich sind es am Burnett allerdings nur einige verhältnismäßig kleine Flecken in der Umgebung der Ansiedlungen und Squattersta-tionen, die den Beginn der Zerstörung andeuten.

Eingestreut in den lichten Buschwald findet man allenthalben Dickichte, die als »Scrub« bezeichnet werden und die für Australien


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003