Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Gayndah. I n

lag das tief eingeschnittene breite Tal des Burnett, in dessen Grunde der augenblicklich ziemlich wasserarme Fluß dahinströmte. Gegen Westen wird das Talbild durch zwei sonderbar gestaltete Berge abgeschlossen, den Mount Debateable und Mount Gayndah. Dazwischen liegt die kleine Ansiedlung Gayndah selbst, am Fuße eines niederen Hügels über eine so ausgedehnte Fläche ausgestreut, daß man darauf eine 100mal größere Stadt aufbauen könnte.

Die Hauptstraße, an der die meisten Häuser in weiten Abständen voneinander liegen, folgt nahezu vier Kilometer weit dem Laufe des Flusses auf der Höhe des rechten Ufers. Viele Häuser sind seitlich von kleinen Gärten und Anpflanzungen eingefaßt, und das lebhafte kräftige Grün der Orangen- und Zitronenbäume, die hier mit Vorliebe kultiviert werden und die vortrefflich gedeihen, gewährt einen angenehmen Kontrast und eine erfreuliche Abwechslung für das Auge, das an das matte Blaugrün des Eucalyptusbusches gewöhnt ist. Die Einwohnerzahl wird auf 500 Seelen angegeben, doch ist sie wohl erheblich geringer und nimmt noch fortdauernd ab. Als in den sechziger Jahren die Erschließung des Burnettdistrikts begann, und man anfing, das Land zu Weidezwecken zu benutzen, wurde fast ausschließlich die lohnende und gewinnbringende Schafzucht getrieben, und Gayndah erwuchs als das Zentrum eines vielversprechenden, Wolle produzierenden Distrikts. Dieser Zustand erhielt sich eine Zeitlang, bis sich allmählich die Weide verschlechterte, das Halten von Schafherden unmöglich wurde und aufgegeben werden mußte. Man wird erstaunt fragen, welche Ursachen eine dauernde Verschlechterung der Weide eines so ausgedehnten Bezirkes herbeiführen können. Die Antwort lautet: die Weidetiere selbst. Das Weidefutter besteht in diesen Teilen Queenslands aus einer größeren Anzahl von Grasarten, von denen ein Teil dem Vieh nahrhaft und zuträglich ist und von ihm mit Vorliebe genommen wird; ein andrer Teil ist härter, kieselhaltiger und ärmer an Nahrungsstoffen und dazu auch weniger schmackhaft. Die Schafe sind nun sehr geschickt, beim Weiden die besseren Grasarten zwischen den weniger guten herauszurupfen, und diese Auslese, die die guten Arten fortdauernd vernichtet und schließlich gar nicht mehr zum Blühen kommen läßt, die schlechteren aber erhält, bewirkt mit der Zeit ein Überwuchern der letzteren gegenüber den ersteren, die endlich ganz verschwinden. Es ist eine wahre Auslese des Schlechteren. Dazu kommt, daß jene härteren kieselreicheren Grasarten meist auch besonders harte und spitze Grannen haben, die in dem dichten Vließ der Schafe hängen bleiben, sich tief in die Haut einbohren und nicht selten den Tod der Tiere verursachen.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003