Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Ankunft in Australien. 7

verteilt waren, begann der eigentliche Taufakt an allen denen, die zum erstenmal die Linie passierten.

Die feierliche Handlung bestand in Einseifen, Rasieren mit einem riesigen Holzmesser, Tauchbad in Seewasser, in schwereren Fällen auch Durchjagen durch einen weiten Leinwandschlauch, sogenannten Windsail, wobei ein nachgesandter starker Wasserstrahl mit als Beförderungsmittel diente. Zum Schluß wurde ein Schwein rasiert und getauft, und das Ende war allgemeine Spritzerei und Taucherei, am Abend eine solenne Kneiperei der Unteroffiziere und Mannschaften, zu der wir alle beisteuerten. Die Linientaufe ist sonst an Bord der großen Passagierdampfer abgeschafft, weil viele der modernen Reisenden für einen derben Spaß zu zimperlich sind. Hier bei uns war sie Privatangelegenheit des Matrosentransports, an der aber auch ein Teil der übrigen Passagiere und die Mannschaft des Schiffes mit Vergnügen teilnahmen.

Am 19. Juli stoppte die Maschine plötzlich und wir erfuhren, daß eine Eisenstange an der Luftpumpe gebrochen sei. Die Reparatur dauerte 20 Stunden, während der wir beliebig im indischen Ocean hin- und hergeschaukelt wurden. Die Segel konnten wir nicht benutzen, weil nach Überschreiten der Linie uns ein starker Südostpassat gerade in die Zähne blies.

Am 27. Juli nachts passierten wir Kap Leeuwin und fuhren vom nächsten Morgen an in Sicht der bergigen Südwestküste von Australien. Eine Schar von Albatrossen schloß sich uns an und begleitete in schwebendem Fluge unser Schiff bis nach Adelaide, wo wir vier Tage später vor Anker gingen.

Hier betrat ich zum ersten male australischen Boden und empfing einen sehr angenehmen Eindruck von der Hauptstadt der Kolonie Süd-Australien. Adelaide mit einer Bevölkerung von 130000 Einwohnern hat einen mehr ländlichen als großstädtischen Anstrich. Aber die Straßen sind breit und freundlich, die zahlreichen öffentlichen Gebäude stattlich, die Wohnhäuser vielfach villenartig, mit gedecktem Vorbau und Balkon, überall Gärten und Anlagen, im Hintergrunde malerisch geformte Hügel. Adelaide, Melbourne und Sydney sind so oft auch von deutschen Reisenden beschrieben worden, daß ich, der ich in diesen großen Städten nur kurz verweilte, eine Schilderung meines Aufenthalts in ihnen ganz unterlassen will. Das großstädtische volkreiche Melbourne mit fast einer halben Million Einwohner sah ich zudem nur bei sehr schlechtem Wetter. Hier besuchte ich unsern berühmten, seitdem verstorbenen Landsmann, Baron Ferdinand von Müller, einen der Pionier-Erforscher Australiens


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003