Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]

4 Von Jena bis Queensland.

Hemisphäre! Das Aufsuchen des Eigenartigen, Charakteristischen hat aber einen ebenso hohen Reiz als der Genuß des durchaus Schönen.

Am 22. Juni kam endlich mein Schiff, der Norddeutsche Lloyd-Dampfer Nürnberg, von Bremen nach Sydney bestimmt, in Genua an. Die Nürnberg war ein ziemlich altes Schiff von 2000 Tons, das für solche Hauptfahrten nur während der toten Saison in Dienst gestellt wurde und neuerdings blos zur Küstenschiffahrt an den chinesischen und japanischen Küsten verwendet wird. Da vorauszusehen war, daß im Juli die Temperatur auf dem roten Meer erdrückend heiß, die Fahrt über den indischen Ozean ziemlich stürmisch sein würde, gingen um diese Zeit nur wenige Kajütenpassagiere hinüber. Als ich auf das Schiff kam, war blos ein Passagier erster Klasse dort, ein zweiter kam in Ceylon hinzu, fünf Erwachsene und zwei Kinder in der zweiten Klasse, über hundert Auswanderer im Zwischendeck. Außerdem noch ein deutscher Truppentransport, fünf Offiziere und gegen hundert Matrosen, Ablösungsmannschaft für unser in der Südsee stationiertes Kriegsschiff Sperber.

Mit den lustigen und unternehmenden Offizieren, prächtigen Seemannstypen, schloß ich gleich in Genua Freundschaft und habe mit ihnen in den folgenden sechs Wochen manche heitere Stunde an Bord verlebt und manchen ereignisreichen Streifzug an Land unternommen. Solche Seefahrten mit ihrem Leben und Treiben an Bord, fliegenden Fischen, Meerleuchten, Besuch der Hafenstädte sind aber schon so tausendfach beschrieben und verherrlicht worden, daß ich kurz darüber hinweggehe. Sechs Wochen an Bord haben nichts reizendes für mich. Das Leben auf hoher See erscheint mir monoton, es fehlt an hinreichender körperlicher Bewegung, gefesselt an einen so kleinen Raum im unermeßlichen Ozean kommt man sich wie ein Gefangener vor. Jeder Aufenthalt an Land bedeutet einen Lichtblick, aber meist ist er nur allzu kurz und gibt kaum Zeit zu flüchtigen Eindrücken. Während eine Segel- oder Dampferfahrt von wenigen Tagen längs interessanter Küsten oder auch über das hohe Meer zu dem angenehmsten und genußreichsten gehört, was es gibt, werden mir wochen- und monatelange Fahrten auf hoher See direkt zur Qual. Das schönste sind die stillen Abende und Nächte in den Tropen, wenn das Schiff in rascher und doch kaum fühlbarer Bewegung die Wasserfläche durchfurcht, sanfte Kühle die Hitze des Tages ablöst, der Mond sein Zauberlicht über das ruhende Meer ergießt, und mit den schönsten Sternbildern des nördlichen Himmels, Orion, Stier und Hund, sich der Glanz des südlichen Kreuzes und des prächtigen Skorpions vereinigt.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Fachbibliothek..
© Kurt Stueber, 2003