Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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2 Von Jena bis Queensland.

hundeartigen Raubtiere, Rinder, Antilopen und Schweine, die Insektenfresser und Affen fehlen in Australien gänzlich. Dafür kommen dort Geschöpfe vor, die auf der ganzen übrigen Erde längst ausgestorben sind, wie die Beuteltiere, die sonst nur noch in Amerika in einer Familie überleben, die eierlegenden Säugetiere, die ganz auf Australien beschränkt sind, der durch Lungen atmende Fisch Cera-todus, der ein Bindeglied zwischen Fischen und Amphibien vorstellt und in vergangenen Erdperioden auf der ganzen Erde zu finden war. Man hat daher Australien treffend das Land der lebenden Fossilien genannt und könnte es auch das Land der fehlenden Zwischenglieder, der »missing links« nennen, da jene sonst auf der Erde ausgestorbenen Geschöpfe eine Zwischenstellung zwischen Tierklassen einnehmen, die ohne Zusammenhang dastehen würden, wenn man nur die in den übrigen Erdteilen lebenden Formen ins Auge faßt. Der Lungenfisch Ceratodus ist solch ein Zwischenglied zwischen Fischen und Amphibien, die eierlegenden Säugetiere vermitteln zwischen Reptilien und höheren Säugetieren.

Die Fossilien, die wir versteinert im Schöße der Erde finden, bieten dem Naturforscher zur Untersuchung nur das knöcherne oder knorplige Skelett, die Schuppen und Panzer der Haut, die äußere Form, während von den Weichteilen: Muskulatur, Nervensystem, Sinnesorganen, Eingeweiden fast niemals Spuren erhalten sind. Das Studium der »lebenden Fossilien«, wie sie sich in den erwähnten Fällen noch in Australien finden, ist angetan, diese empfindlichen Lücken unsrer Kenntnis auszufüllen. Besonders wichtig ist es auch, die embryonale Entwicklung jener Übergangstiere zu studieren. Ist doch nach dem Ausspruche des großen Naturforschers Karl Ernst v. Baer »die Entwicklungsgeschichte der wahre Lichtträger für Untersuchungen über organische Körper«. Es ist deshalb als eine lohnende und Erfolg versprechende Aufgabe anzusehen, das Material für das entwicklungsgeschichtliche Studium solcher »lebender Fossilien« zu beschaffen.

Als ich im Juni 1891 eine auf mehrere Jahre berechnete naturwissenschaftliche Reise antrat, besaßen wir gar keine Kenntnisse über die Entwicklung der Lungenfische. Was die eierlegenden Säugetiere anlangt, so war außer der Tatsache des Eierlegens und einem interessanten Befund betreffs der Bezähmung junger Schnabeltiere über ihre Entwicklung ebenfalls nichts bekannt. Aber auch die Anatomie der ausgewachsenen Tiere war noch sehr lückenhaft, und selbst die Anatomie und Entwicklung der Beuteltiere war in keiner Weise erschöpfend untersucht.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003