H. Schenk: Betraege zur Kenntnis der Vegetation der Canarischen Inseln

§ 7. Plocama-, Spartium- und Eriken-Formen.

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II. Die basale Region.

§ 7. Plocama-, Spartium- und Eriken-Formen.

("Text" von A. F. W. SCHIMPER.)

"Zu den häufigsten und charakteristischsten Gewächsen der tieferen Landschaften von Teneriffa gehört ein 6-12 Fuß hohes Bäumchen, der "Balo", Plocama pendula Hort. KEW., welche zu den Rubiaceen der Anthospermen gehört, die auf den Canaren durch eine zweite Gattung, Phyllis, außerdem aber nur noch in Südafrika und Australien, dort aber reichlich, vertreten ist. Die sehr dünnen, aber zähen und elastischen Aeste des Balo hängen schlaff herab; sie tragen schmale Blätter und bedecken sich im Frühjahr mit kleinen weißen Blüten, aus welchen weiße Beeren sich entwickeln (Textfig. 26 und 27).

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Plocama pendula Hort. Kew. "Balo". Sehr verkleinert. Nach WEBB et BERTHELOT, Atlas, Facies, Taf. III. [SCHIMPER.]
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Plocama pendula Hort. Kew. a und b in nat. Gr., c auf 1/6 verkleinert. b Früchte, a Zweig mit Blüten. [SCHIMPER.]

Hier stehen wir einem von dem bisher besprochenen ganz abweichenden Vegetationstypus gegenüber; keine dicken Aeste, keine langen Blätter mehr, sondern dünne, herabhängende Aeste, kurze, jedoch wiederum schmale Blätter. Auch diese Vegetationsform hängt entschieden mit dem Klima zusammen, denn sie findet sich, wenigstens in einen ihrer beiden Komponenten, bei Arten aus der verschiedensten Verwandtschaft, und zwar an trockeneren windigen Standorten. Mit der Federbuschform sind meistens große Transpirationsflächen verbunden; dieselbe ist daher in ihren großblättrigen Vertretern an feuchtere Gebiete oder Standorte gebunden.

Nicht alle Arten, welche sich physiognomisch dem Balo nähern, vereinigen seine beiden charakteristischen Eigenschaften, die dünnen, zähen Aeste und die kleinen schmalen Blätter. Vielmehr finden wir bei manchen nur die erstere derselben, namentlich bei einer Anzahl Papilionaceen, auch bei Convolvulaceen, meist Bewohnern sehr trockener Standorte. Dies ist GRISEBACH's Spartium-Form. Andererseits finden wir häufig kleine schmale Blätter an mehr oder weniger dicken oder doch starren Aesten, und an solchen oft dicht gedrängt, GRISEBACH's Erikenform. Die im Wuchse an Eriken, doch keineswegs an unser schuppenblättriges Heidekraut erinnernden Gewächse gehören wiederum sehr verschiedenen systematischen Kreisen an. Bei den echten erikanähnlichen Gewächsen sind im Gegensatz zum Balo die Blätter so zahlreich, daß sie eine keineswegs geringe Transpirationsfläche bedingen; manche Pflanze mit normalen Blättern besitzt keine größere; der Typus ist zwar, im feineren Bau, entschieden xerophil, jedoch nicht extrem im Schutz gegen Wasserverlust. Sehen wir uns nach dem sonstigen Vorkommen der echten Erikenform um, so finden wir sie an ganz bestimmte Existenzbedingungen gebunden. Sie ist in erster Linie charakteristisch für das südwestliche Afrika, dessen klimatische Komponenten, soweit sie für die Vegetation in Betracht kommen, Regenarmut, feuchte Luft und starker Wind sind, sie zeigt sich, bei ähnlichen klimatischen Bedingungen, auf den Gipfeln tropischer Kegelberge, wo ich sie z. B. auf der Serra do Picú in Brasilien einen ganz absonderlichen Habitus den Vertretern von Melastomaceen und Malpiphiaceen gebend fand, wo sie charakteristisch ist für die Gipfelvegetation des Kinabalu (Borneo), den hohen Gipfel der Insel Réunion, des Kilimandscharo und des Kamerumpik. Endlich zeigt sie sich, jedoch weniger verbreitet und auf wenige systematische Typen beschränkt, auf den Hochgebirgen der nördlichen temperierten Zone, in den Tundren des Nordpolargebietes und in dem westlichen Gebiete Europas - wiederum an physiologisch ähnliche klimatische Bedingungen gebunden, denn die durch Regenmangel bedingte Trockenheit der wärmeren Gebiete wird in diesen Fällen durch Kälte des Bodens ersetzt.

Fragen wir uns, welcher der klimatischen Faktoren das Zerteilen der transpirierenden Fläche in kleine und schmale Stücke bedingte, so können wir mit Sicherheit den Wind wiederum als solchen bezeichnen. Das kleine schmale Blatt bietet dem Winde geringen Widerstand, es ist schmal und steif und wird an einer dünnen biegsamen Achse getragen, derart, daß es, wie man sich leicht durch Beobachtung überzeugen kann, auch bei starkem Winde keine Eigenbewegung zeigt; eine kritische Stelle ist nicht vorhanden, das Abreißen des Blattes ist demnach ausgeschlossen. Der Feuchtigkeit der Luft entspricht es, daß die Laubfläche eine beträchtliche Größe repräsentiert; zunehmende Gefahr zu großen Wasserverlustes bedingt eine Abnahme der Größe der Blätter, oder deren Zahl, oder auch das Auftreten besonderer Schutzmittel, wie Woll- und Seidenhaare, Harzüberzüge u. dergl.

Die Federbusch-, Erika- und Spartium-Formen beherrschen die Vegetation an den offenen windigen Standorten sämtlicher Regionen Teneriffas, in dem erwähnten, natürlich nicht vollkommenen Zusammenhang mit der Trockenheit, aber in erster Linie als Anpassung an den Wind."

In typischer Weise kehren die beiden Eigenschaften des Balo, dünne, zähe Aeste und kleine, lineale Blättchen, bei dem "Pico de Paloma", Heinekenia peliorhyncha WEBB, wieder, einer mit Lotus verwandten endemischen Pflanze Tenerifes, die ihrer großen, roten Clianthus-ähnlichen Blüten wegen in unsere Gewächshäusern als Zierpflanze vielfach kultiviert wird. Sie kommt nur an zwei Felsenstandorten Tenerifes vor, nämlich oberhalb Arico auf der Südseite und oberhalb La Florida auf der Nordseite. Heinekenia stellt aber nicht wie der Balo ein trauerweidenähnliches Bäumchen dar, sondern eine mit ihren dünnen Langtrieben herabhängende Felspflanze, und wird daher bei uns in Ampeln gezogen. Die Fiederblättchen, meist 5 oder 7, sind gleichgestaltet, schmallineal und an die Blattbasis zusammengedrückt; so erscheinen die Sprosse büschelig beblättert. An der südtenerifischen Form sind die Blättchen weiß-seidig behaart, an der nordtenerifischen fast kahl. Textfig. 28, 1 stellt einen blühenden Zweig dar.

An Heinekenia reihen wir die canarischen Arten von Asparagus an, die in der Ausbildung der biegsamen Zweige und der linealen, in Büscheln stehenden Cladodien ähnliche Gestaltungsverhältnisse aufweisen. An Felsen der Barrancos der Canaren, besonders Tenerifes, erscheint häufig der auf Madeira, auf den Capverden und in Algier auftretende Asparagus scoparius LOWE, dessen bambusartige Schößlinge in langen Bogen von den steilen Standorten herabhängen [ CHRIST, Vegetation und Flora der Canarischen Inseln, S. 472. ].

Asparagus umbellatus LINK, ebenfalls auf Madeira vorkommend, besitzt lange, zwischen Gesträuch windende Sprosse mit Büscheln vierkantiger Cladodien.

Asparagus arborescens WILLD. und Asparagus albus LINK, zwei Felssträucher der canarischen basalen Region, weisen sehr lange, lineale Cladodien auf und bezeichnen den Uebergang zu der Spartium-Form.

Kleine Sträucher mit schmalen, linealen Blättern sind in der basalen Region verbreitet und gehören den verschiedensten Familien an, derart, daß die hierher gehörigen Vertreter auffallende Aehnlichkeit in ihrem Habitus aufweisen.

In Textfig. 28 sind einige dieser Typen dargestellt.

Reseda scoporia BROUSS. auf Teneriffe und Canaria, ein fußhoher Strauch mit aufrechten, verzweigten, rigiden, grünen Zweigen und kahlen, linealen Blättern (Textfig. 28, 2).

Odontospermum stenophyllum C. SCHULTZ, ein elegantes, bis 3 dcm hohes, dicht verzweigtes Compositensträuchelchen mit gebüschelten, weiß-seidigen, linealen Blättchen, das an einigen Stellen der Insel Canaria die Küstenfelsen bewohnt (Textfig. 28, 5).

Convolvulus scoparius L. fil., "Leña noël" (Textfig. 28, 6). Kleiner Struach mit aufrechten, besenartigen Zweigen und fadenförmigen, hinfälligen Blättern, an trockenen Felsen der Barrancos der westlichen Canaren. Nebst einigen anderen weniger verbreiteten Arten von ähnlichem Habitus gehört C. scoparius L. fil. zur Sektion Rhodorrhiza der Gattung. Ihrer Zweigbildung nach erinnern sie nach CHRIST [ CHRIST, Vegetation und Flora der Canarischen Inseln, S. 505. ] eher an Spartium scoparium als an ihre Verwandten im Mittelmeergebiet.

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1 Heinekenia peliorhyncha WEBB, 2 Reseda scoparia BROUSS., 3 Odontospermum stenophyllum C. SCHULTZ, 4 Sonchus leptocephalus CASS., 5 Plantago arborescens POIR., 6 Convolvulus scoparius L. fil. Nat. Gr. [SCHIMPER.]
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Chrysanthemum frutescens L. 2/3 nat. Gr.

Lineale Blätter finden sich ferner bei den endemischen kleinen Compositensträuchern Schizogyne sericea DC. und Phagnalon umbelliforme WEBB. Auch den "Duraznillo", die endemische Borraginacee Messerschmidtia fruticosa L., könnten wir vielleicht hier erwähnen. Dieser Strauch ist an Felsen der Barrancos ziemlich häufig, besitzt herabgezogene, dünne Aeste und lanzettliche Blätter, die bei der var. angustifolia der Küsten Südtenerifes lineale Form annehmen.

Zerteilung des Laubes in schmale Zipfel als Anpassung an des windige Klima haben wir bereits bei Sonchus arboreus und Leptocephalus kennen gelernt. Sie kehrt auch wieder innerhalb der Gattung Chrysanthemum bei der Sektion Argyranthemum. Die 7 canarischen Endemen dieser Sektion stellen kleine Sträucher vor; als ihr Typus kann die auf Steinfeldern und an Felsen der unteren Region auf Tenerife, Palma und Canaria verbreitete "Magarza", Chrysanthemum frutescens L., gelten, ein Strauch, der wegen seiner schönen weißen Strahlenblüten als Zierpflanze in unseren Kalthäusern allgemein verbreitet ist. Die ein- bis zweifach fiederschnittigen Blätter mit ihren linealen, etwas succulenten, blaubereiften Zipfeln, verleihen dem Strauch einen graziösen Habitus und leichte Beweglichkeit im Winde (Textfig. 29).

Argyranthemum liefert uns ein weiteres Beispiel für die Bildung zahlreicher Formen aus einem Typus. A. frutescens selbst ist schon eine vielgestaltige Art. Während aber die canarischen Sonchus-Arten ihren Ursprung auf die Mittelflora zurückführen, schließen sich die Argyranthemum-Arten an südafrikanische strauchige Arten des Genus Chrysanthemum an [ CHRIST, Vegetation und Flora der Canarischen Inseln, S. 510. ].

An die genannten Chrysanthemen reiht isch in der Laubbildung Artemisia canariensis LESS., ein graufilziger endemischer Strauch der basalen region Tenerifes und Canarias, dessen zwei bis dreifach fiederspaltige Blätter linale Zipfel aufweisen.

Die Spartium-Form ist vertreten durch 3 endemische Ginstersträucher der Gattung Retam und durch Arten von Ephedra, in der Hochregion außerdem durch Spartocytisus.

Die Erikenform wird besonders repräsentiert durch die Gattung Micromeria, die nicht nur in der basalen, sondern auch in der Hochregion in einer ganzen Reihe verwandter Arten, in Form von kleinen, reichverzweigten Zwergsträuchelchen mit kurzen, nadelförmigen oder lanzettlichen Blättchen verbreitet ist. Am häufigsten ist die formenreiche Micromeria varia BENTH.

In der oberen montanen Region herrscht die Erikenform vor durch Erica arborea L., und scoparia L., Adenocarpus viscosus WEBB et BERTH. und mehrere kleinblättrige Genisten.


© 2002, Kurt Stüber, MPI für Züchtungsforschung.
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