H. Schenk: Betraege zur Kenntnis der Vegetation der Canarischen Inseln

§ 2. Succulente Gewächse der basalen Region.

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II. Die basale Region.

§ 3. Die canarische Dattelpalme, Phoenix Jubae (WEBB) CHRIST.

("Text" von A. F. W. SCHIMPER.)

"Eine Exkursion von Puerto de la Orotava nach einem westlicher gelegenen Punkte der Nordküste, Icod de los Vinos, bietet die Gelegenheit, die verschiedenen Vegetationsformationen und die wichtigsten Pflanzentypen der unteren Region der Insel kennen zu lernen.

Allenthalben zeigt sich längs des Weges, teils einzeln, teil in kleinen Beständen, dei canarische Dattelpalme, Phoenix Jubae (WEBB) CHRIST [ CHRIST, Spicilegium, 1888, S. 171; Vegetation und Flora der Canarischen Inseln, S. 508 ] [=Phoenix canariensis HORT.] (Taf. XVII [II].) Sie ist auf dem canarischen Archipel endemisch, doch kommt sie jetzt wildwachsend nur auf Palma vor, in den Felsspalten entlegener Barrancos. Auf Tenerife zeigt sie sich nur im Bereiche der Kultur, angepflanzt oder verwildert. Auf den Capverden, auf Madeira und auf den Azoren fehlt sie.

Schon in weiter Ferne kennzeichnet sich die canarische Dattelpalme von der ebenfalls kultivierten afrikanischen Phoenix dactylifera L.; bei letzterer erhebt sich die Blattkrone als steifer Besen, nur die alten Blätter hängen, nicht minder steif, herab. Bei ersterer krümmen sich die Blätter in weitem Bogen herunter.

Junge Exemplare (Textfig. 4) zeigen neben der viel bedeutenderen Größe der Blätter den Unterschied in noch auffallender Weise als die ausgewachsenen Bäume; letztere erheben sich bei der canarischen Art anscheinend niemals zu so bedeutender Höhe, wie die mächtigen Dattelpalmen der algierischen Sahara, deren Prachtgestalten außerhalb ihres natürlichen Wohngebietes auf den Canaren wie an der Küste des Mittelmeeres niemals auch nur entfernt erreicht werden.

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Phoenix Jubae (WEBB) C. Junge canarische Dattelpalme. Tenerife. [SCHIMPER.]

Die nähere Betrachtung beider Palmen zeigt noch andere Unterschiede. Die Gesamtfläche des Blattes bei der Dattelpalme ist nach der Mitte der Krone gerichtet, der stabförmige Stiel stellt sie senkrecht zur Lotlinie, bei der canarischen Palme erfährt der bandförmige Blattstiel eine Drehung von 90°, wodurch die Blattfläche sich gleichsinnig mit der Lotlinie stellt. An der noch kurzstämmigen Palme beider Arten ist der Unterschied auffallend. Bei der afrikanischen Dattelpalme sehen wir die Blätter des regelmäßigen Trichters an den Seiten im Profil, bei den canarischen zeigen sie seitlichen Blätter ihre breiten Flächen, und das Ganze stellt ein weniger regelmäßiges Bild dar.

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Phoenix Jubae (WEBB) C. Blattteil, Zweig des Fruchtstandes und Einzelfrucht mit teilweiser Entferung des Exocarps. Nat. Gr. Aus dem Garten La Mortola. [SCHIMPER.]

Die Krone der canarischen Palme bietet gegenüber ihrer Verwandten auch ein Bild größerer Ueppigkeit. Ihre Blätter sind breiter, ihre Segmente sind es ebenfalls und gleichzeitig weniger gefaltet, so daß sie sich berühren; auch sind sie lebhaft grün, nicht graugrün, so daß die ganze Krone voll, schwer und krautig saftig erscheint, während diejenige der libyischen Art sich durchsichtig, sparrig und wie aus Blech herausgeschnitten darstellt.

Die Unterschiede sind nicht auf Stamm und Blatt beschränkt; auch der Blütenstand der canarischen Art weicht durch fächerartige Verzweigung von dem massiven Blütenstand der Verwandten ab. Die canarische Dattel endlich ist rundlich, nicht länglich; ihr Fleisch ist dünn und lederartig, für den Menschen ungenießbar; dagegen wird es von verschiedenen Vögeln verzehrt. Der Same ist etwas größer als derjenige der echten Dattel und entspricht in seiner rundlichen Gestalt der Gestalt der Frucht (Textfig. 5)."

Phoenix canariensis kann bedeutende Höhe erreichen. Das höchste Exemplar auf Tenerife ist nach H. MEYER [ H. MEYER, Tenerife, S. 95 ] eine einsame 44 m hohe Palme im Garten der Familie Sauzal zu Orotava, der auch den berühmten Drachenbaum HUMBOLDT's enthielt; sie sei vor 400 Jahren schon für die Guanchen eine bekannte Landmarke gewesen. Uebrigens liegen betreffs des Alters höherer Bäume keine exakten Mitteilungen vor, und daher ist auch diese Angabe mit Vorsicht zu genießen.

"Die canarische Dattelpalme wird gegenwärtig auf sämtlichen Inseln angetroffen; ob sich auch ihnen allen angehörte, kann nicht mehr entschieden werden. Jedenfalls hat sie ohne Mitwirkung des Menschen den Archipel nicht überschritten. Als Zierpalme kultiviert, verdrängt sie an den Küsten des Mittelmeeres mehr und mehr die gewöhnliche Dattelpalme, welche sie unter einem der letzteren weniger zusagenden Klima an Schönheit weit übertrifft. Ihre Merkmale bleiben unverändert erhalten; es ist unbegreiflich, daß sie früher beinahe allgemein und heute noch von einigen Fachmännern nur als eine Varietät der Phoenix dactylifera betrachtet wird."

Da die Gattung Phoenix schon im Tertiär von Süd- und Mitteleuropa in verschiedenen Arten verbreitet war, so liegt die Vermutung nahe, daß die canarische Art schon in dieser Periode, ebenso wie auch der canarische Drachenbaum, nach den Inseln gelangte.


© 2002, Kurt Stüber, MPI für Züchtungsforschung.
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