H. Schenk: Betraege zur Kenntnis der Vegetation der Canarischen Inseln

§ 2. Succulente Gewächse der basalen Region.

[Vorhergehendes Kapitel] [Index] [Nächstes Kapitel]

II. Die basale Region.

§ 2. Succulente Gewächse der basalen Region.

("Text" von A. F. W. SCHIMPER.)

"Steigen wir vom Strande hinauf an den gebirgigen Abhängen Tenerifes, so finden wir uns bald der charakteristischsten Pflanze der Felsenformation der Canaren gegenüber, einer weit übermannshohen cactusähnlichen Wolfsmilchart, dem Cardon, Euphorbia canariensis L. Es ist dies wohl für den nicht botanischen Reisenden, namentlich wenn er tropische Gebiete nicht kennt, nächst dem später zu besprechenden Drachenbaume die am eigenartigsten und interessantesten erscheinende Pflanze der Canaren. Schon in den Berichten der alten Reisenden wird sie eingehend geschildert. Neben ihren eigenthümlichen Aussehen trägt auch ihre Häufigkeit dazu bei, daß sie stets so viel Beachtung gefunden hat; aus allen Falsspalten sieht man schon in weiter Ferne ihre mächtigen kandelaberartigen Büsche hervortreten (Text-fig. 1 und Taf. XVI [I]).

Full size, 300 dpi
Screen size
Euphorbia canariensis L.

Für den Botaniker gehört der Cardon in keiner Hinsicht zu den am meisten beachtenswerten Gliedern der Canarenflora. Aehnliche äußere Eigentümlichkeiten zeigen sich bei verschiedenen, sehr häufigen Euphorbien der östlichen tropischen und subtropischen Gebiete, namentlich in Ost- und Südostafrika; nur sind diese Euphorbien vielfach noch weit größer und durch die Bildung eines mächtigen Stammes mit oft sehr regelmäßiger Verzweigung weit großartiger und schöner als der bereits an der Basis verzweigte, unregelmäßig buschige Cardon. Auch pflanzengeographisch ist die cactusähnliche Euphorbia der Canaren insofern weniger interessant im Vergleich zu anderen canarischen Elementen, als sie nahe Verwandte, allerdings von etwas geringeren Dimensionen, auf dem benachbarten Kontinente in Marocco besitzt [ Vergl. CHRIST, Vegetation und Flora der Canarischen Inseln, S. 507. - BOLLE, Bot. Jahrb., Bd. XVI, 1892, S. 243. Verwandte Arten sind E. resinifera BERG, E. Beaumierana HOOK. fil. et COSS. ]."

Euphorbia canariensis L. ist auf den Canarischen Inseln weitverbreitet und fehlt auch keineswegs den Purpurarien. Nach BOLLE [ BOLLE, Bot. Rückblicke, Bot. Jahrb. Bd. XVI, 1892, S. 243. ] besitzt Fuertaventura auf der Strandebene von Jandia sogar einen Reinbestand des Cardon, dessen Büsche dort ihre volle Normalgröße von 4-5 m im Durchmesser bei regulärer Höhe erreichen. Ein eigentlicher Hauptstamm kommt beim Cardon nicht zur Entwickelung, vielmehr bestehen die Büsche, wie Taf. XVI [I] zeigt, aus zahlreichen, ungefähr gleichstarken, senkrecht gestellten und kandelaberartig verzweigten blaugrünen, wachsüberzogenen und erst im Alter mit grauem Kork bedeckten Sprossen, deren unterste, nach außen gerichtete Seitenzweige mit ihrer Basis dem Boden anliegen und dann im Bogen senkrecht nach oben streben; so wächst der Busch an seiner Peripherie immer weiter und kann an sehr alten Exemplaren schließlich einen Umfang von 15 m erreichen bei einer Höhe von nur einigen wenigen Metern. Die Wurzeln des Strauches entspringen, wie SCHACHT [ SCHACHT, Madeira und Tenerife, S. 127 ] angiebt, sämtlich der Hauptwurzel, sie verbreiten sich nach allen Richtungen ungemein weit im Umkreise; er hat sie bis zu 50 Fuß Länge verfolgen können. Die Sprosse sind 4-, häufig auch 5-kantig und und tragen längs ihrer Kanten an Stelle der Blätter kleine, abwärts gebogene Dornpaare, aus deren Achseln die Zweige ohne bestimmte Regel entspringen. Schon an den Keimpflanzen, gleich über den beiden kegelförmig vorspringenden Keimblättern, wird der Hauptsproß als succulente blattlose Säule ausgebildet; er verzweigt sich erst nach einigen Jahren. Die roten, unscheinbaren Blüten erscheinen nach SCHACHT im April und Mai an den Spitzen der Sprosse aus den Achseln der Dornpaare, und zwar stehen 1 mittleres männliches und 2 seitliche zwittrige Cyathien in je einer Achsel. Die Früchte reifen im August, ihre Samen keimen nach den ersten Regen in demselben Monat.

In den umfangreichen Büschen des Cardons siedeln sich häufig andere Gewächse der basalen Zone an, die zwischen seinen Säulenstengeln Raum zu Entwickelung finden. Sie bleiben hier geschützt gegen die Angriffe der Ziegen [ Vergl. S. BERTHELOT, Géogr. bot. p. 175, und C. BOLLE, Bot. Rückblicke auf die Inseln Lanzarote und Fuertaventura, S. 243. ].

Die Canaren besitzen noch eine zweite endemische und blattlose Wolfsmilchart, die Euphorbia aphylla BROUSS. [ Vergl. CHRIST, Vegetation und Flora der Canarischen Inseln, S. 508; BERGER, Succulente Euphorbien, Stuttgart 1907, S. 23. ], welche zur Sectio Tirucalli BOISSIER gehört, also zu einem anderen Verwandtschaftskreise als der zur Sectio Diacanthium BOISSIER gezählte Cardon.

Die Euphorbia aphylla, auf Tenerife "Tolda" genannt, ist ein niedriger, reich verästelter Strauch, dessen 6-8 cm lange, bleistiftdicke, graugrüne Astglieder an Stelle der Blätter kaum hervorstretende Blattnarben aufweisen. Die kleinen Cyathien erscheinen einzeln oder zu 3-5 an der Spitze der Aeste.

Auf Tenerife kennt man für die Tolda nur einen Standort, nämlich Felsen in der Nähe der Küste bei Buenavista in der Nähe der Westspitze der Insel, der Punta de Teno. Auf Gran Canaria wächst sie häufig an Felsen bei Las Palmas und auch auf Gomera kommt sie vor. Sie spielt also nicht die wichtige Rolle in der Physiognomie der basalen Vegetation wie der Cardon. An ihren exponierten Standorten wird sie höchstens 1 m lang, nach BORNMÜLLER [ BORNMÜLLER, Bot. Jahrb. Bd. XXXIII, 1904, S. 448.] kannsie aber in geschützter Lage baumartig werden, er sah in Gärten von Funchal auf Madeira kultivierte Exemplare von etwa 7 m Höhe.

Die Verwandten der Euphorbia aphylla bewohnen Ostafrika, Madagaskar, Südarabien, Kapland; eine ihr nahestehende Art, Euphorbia arbuscula BALF. fil., findet sich auf der Insel Socotra, wo auch noch andere wichtige canarische Endemen nahe verwandte Arten aufweisen.

Full size, 300 dpi
Screen size
Euphorbia aphylla BROUSS. Tenerife. Nat. Gr. [SCHIMPER.]
Full size, 300 dpi
Screen size
Euphorbia aphylla BROUSS. Tenerife. 15 cm hohe junge Pflanze mit kandelaberartiger Verzweigung. Im botanischen Garten zu Zürich photographiert von H. SCHENK, April 1907.

Die basale Region der Canaren beherbegt von Stammsucculenten noch 2 endemische Arten der Asclepiadaceengattung Ceropegia, nämlich die auf den Inseln verbreitete Ceropegia dichotoma HAW., den "Cardoncillo", und di enur auf Gran Canaria beschränkte Ceropegia fusca BOLLE, zwei Felssträucher, die sich mit ihren, bald blattlos werdenden, gegliederten, stielrunden succulenten Stengeln an die Pflanzenform der Euphorbia aphylla anschließen. Ihre nächsten Verwandten leben in Südafrika und in Indien.

An die Stammsucculenten reihen wir Aloë vulgaris LAM. (= Aloë vera L.) als Vertreter der Blattsucculenten an, zu denen auch die in §5 erwähnten Sempervivum- und Momanthes-Arten zu rechnen sind. Die Aloë der Canaren ist ein Gewächs, das wiederum seine nächsten Verwandten in Südafrika und zwar dort in einem ungemeinen Formenreichtum aufweist. Als eine der Stammpflanzen der offizinellen Aloë-Droge hat sie in fast allen wärmeren Küstenländern der alten und der neuen Welt weite Verbreitung gefunden, und so stößt die genaue Feststellung ihrer Heimat auf Schwierigkeiten. Allem Anschein nach aber scheint sie den Canaren und Capverden ursprünglich eigentümlich gewesen zu sein als Gegenstück zu der auf Socotra einheimischen Aloë Perryi BAKER. CHRIST [ CHRIST, Spicilegium, 1888, S. 171; Vegetation und Flora der Canarischen Inseln, S. 508. ] sagt zur Begründung seiner Ansicht von der insularen Herkunft der Pflanze, sie trete im Mittelmeergebiet nur in der Nähe des Seestrandes, an Felsen und Mauern und derart vereinzelt auf, daß wohl nirgends der Verdacht der Einwanderung im Gefolge der Menschen ganz ausgeschlossen sei; ferner komme sie nicht im benachbarten Nordafrika (Marokko) vor. Auf den Capverden und zwar auf S. Antonio dagegen erscheine sie nach SCHMIDT fern von allen menschlichen Wohnungen an steilsten Felsenwänden.

Die Aloë vulgaris [ Abbildung z. B. in A. SCHNITZLEIN, Icon. fam. nat., Vol I, Bonn 1843-46, Tafel LV. ] ein etwa 1/2 m hohes Gewächs, hat succulente, lanzettlich zugespitzte, bedornte, zurückgebogene Blätter an einem kurzen holzigen Stamm, der einige Jahre bis zur Blütenbildung gebraucht (bei uns in Kultur 6-7 Jahre). Die Blütezeit fällt in den März. Auf den Canaren wächst die Aloë zerstreut an Küstenfelsen, so bei Garachico auf Tenerife.

Dem trockenen Klima der basalen Regie erscheint die Vegetationsform der Succulenten in hohem Grade angepaßt. Das zeigt sich auch in dem vorzüglichen Gedeihen der aus der neuen Welt zur Cochenillezucht früher eingeführten und jetzt überall verwilderten "Tuneras", in erster Linie Opuntia Ficus indica L., weniger häufig Opuntia Tuna MILL. Ebenso ist die blattsucculente mexikanische Agave americana L., auf den Inseln heimisch geworden.


© 2002, Kurt Stüber, MPI für Züchtungsforschung.
This page is part of Kurt Stübers Online Library.
This page has been created 24 January 2002.