H. Schenk: Betraege zur Kenntnis der Vegetation der Canarischen Inseln

§ 1. Formationen der basalen Region.

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II. Dia basale Region.

§ 1. Formationen der basalen Region.

(Nach dem Manuskript von A. F. W. SCHIMPER.)

"Die Flora der Canaren gehört nicht zu jenen Inselfloren, welche, von den in Gesellschaft des Menschen einwandernden Pflanzen, von seinen Tieren zerstört, verschwinden oder nur noch an fernen unzugänglichen Stellen ein verborgenes Dasein führen. Vielmehr stellt sie zum größeren Teile ein kräftiges Geschlecht urwüchsiger Gewächse dar, welche dem Menschen den Boden streitig machen, welche gegen Tiere gewaffnet sind oder, von ihnen angetastet, sich wiederherstellen, welche mit den ausländischen Unkräutern den Kampf ums Dasein erfolgreich führen und dieselben sogar von menchen ausgedehnten Standorten dank ihrer viel vollkommneren Anpassung ferne halten [ Bereits BERTHELOT (Géogr. bot. p. 77) und BOLLE (Zeitschr. f. allg. Erdk., Bd. X., S. 19) heben die Kraft der einheimischen Vegetation der Canaren hervor. ].

Welches Gepräge die ursprünglichen Vegetationsformen vor Anfang der Kultur auf dem anbaufähigen Boden der basalen Region trug, ist zur Zeit nicht mehr zu entscheiden. Als natürliche Formationen sind nur noch Steinfelder und Felsen erhalten, demnach Formationen, die ihren ökologischen Charakter in erster Linie dem Substrat verdanken. Bei der großen Trockenheit des Klimas ist anzunehmen, daß die Vegetation des feinkörnigen Bodens ursprünglich aus niederem xerophilem Gesträuch bestand und sich nicht sehr wesentlich von derjenigen der Steinfelder unterschied. Arten, die heute massenhaft als Unkräuter und Gestrüpp an Wegerändern auftreten, dürften Bestandteile solcher klimatischer Formationen gewesen sein, so z. B. Kleinia neriifolia HAW., Euphorbia regis Jubae WEBB, während die beiden monocotylen Bäume der basalen Region, Dracanea Draco L. und Phoenix canariensis HORT. derselben mit Sicherheit angehört haben und auch vielfach noch die Standorte einnehmen, wo sie vor dem Anfange jeder Kultur wuchsen. Beide Bäume tragen ausgeprägten xerophilen Charakter.

Die mehr oder weniger im ursprünglichen Zustande erhaltenen Formationen der Steinfelder und Felsen nehmen, da die Trockenheit des Klimas der Verwitterung ungünstig ist, große Areale ein und tragen eine lockere Vegetation aus ausgeprägt xerophilen Sträuchern und Stauden mit wenigen Gräsern, welche ökologisch denjenigen ähnlicher Standorte in den Mittelmeerländern nahe treten und teilweise systematisch mit ihnen übereinstimmen. Doch sind viele Arten endemisch, und einige dieser Endemismen zeigen die Eigentümlichkeit, daß sie die Gestalt des Drachenbaumes im kleinen wiederholen, d. h. sie tragen auf kurzem und dickem Stamme wenige dicke und fleischige Aeste mit an den Enden schopfartig gedrängten Blättern. Es sind namentlich Euphorbia regis Jubae WEBB und ihre Verwandten, Kleinia neriifolia HAW. und Sempervivum-Arten. Die beiden ersteren sind bei aller Originalität der Gestalt einander doch so ähnlich, daß sie im nicht blühenden Zustand leicht miteinandern verwechselt werden können, und gehören zu den gemeinsten Pflanzen der Steinfelder, welche die erstere manchmal mit ziemlich dichtem, etwa meterhohem Gestrüpp bedeckt. Ein sehr typisches Steinfeld ist auf unserer Tafel XVI [I] dargestellt. Die spärlichen, dicht verzweigten Sträucher, welche gewöhnlich die Euphorbia begleiten und aus den Steinfeldern entsprießen, sind Chrysanthemum frutescens L., Cistus vaginatus AIT., Lytanthus salicinus WETTST., (= Globularia salicina LAM.), Adhatoda hyssopifolii NEES. und Micromeria varia BTH., sämtlich canarische Endemen und zu den gemeinsten Vertretern der canarischen Flora gehörend.

Während die eigentlichen Succulenten in der Steinfeldformation fehlen oder, wo sie auftreten, offenbar zufällige, anscheinend eingeschleppte Bestandteile darstellen, beherrschen sie die feligen Gehänge, namentlich in den Barrancos. Euphorbia canariensis L., entspringt aus den Spalten der sonnigen Felswände und gelangt auch an den dürrsten Standorten zu ansehnlicher Entwickelung. Mit der Kandelaber-Euphorbia vergesellschaftet, zeigen sich hie und da die Rosetten der für die Canarenflora so bezeichnenden Semperviva, doch sind die von ihnen bevorzugten Standorte, trotz ihrer Succulenz, die feuchteren Felsspalten. Ist die Felswand noch feuchter und gleichzeitig schattig, so ist sie von Adiantum capillus Veneris L. bedeckt. Wie die Steinfelder und in noch eigenartiger Weise haben die Felsen Endemismen entwickelt, so vor allem innerhalb der Gattung Sempervivum. Die Canaren sind einer der mächtigsten oder vielmehr, in Anbetracht ihres Areals, der mächtigste Bildungsherd neuer Arten in dieser Gattung gewesen; diese Arten haben zum Teil ein äußerst beschränktes Areal, und kein Gebiet der Erde scheint eine so günstige Gelegenheit zu bieten, einen Einblick in die Ursachen der Entstehung neuer Arten zu gewinnen, wie die Canaren mit ihren zahlreichen endemischen Semperviva.

Der Salzboden der Küsten ernährt eine halophytische Flora, welche, im Gegensatz zu den meisten Strandfloren, ebenfalls reich an Endemismen ist. Namentlich ist hier ein Bildungsherd von Arten der Gattung Statice gewesen, von welcher 13 Arten bezw. Unterarten den Canaren eigen sind und, wie die Semperviva, zum Teil äußerst begrenzte Bezirke bewohnen.

Die wichtigsten natürlichen Pflanzenformationen der basalen Region sind auf Tenerife folgende:

1. Klmatische Formationen.

Niedrige Gehölze auf erdigem Boden durch die Kultur vollständig verdrängt. Die einzigen baumartigen und überhaupt die auffallendsten Gewächse dieser Formation waren Phoenix canariensis HORT. und Dracaena Drago L.

2. Edaphische Formationen.
A. Formation der Steinfelder.

Wie alle Formationen auf solchen Substrat durchaus offen, vornehmlich aus niederen Sträuchern von xerophiler Struktur. Vorherrschen des sklerophyllen Typus.

Charakterpflanzen: Euphorbia regis Jubae WEBB (wohl überhaupt die gemeinste Pflanze der Insel), Kleinia neriifolia HAW. (nur im unteren Teile der Region), Chrysanthemum frutescens L., Micromeria varia BTH., Lytanthus salicinus WETTST., Adhatoda hyssopifolia NEES etc.

B. Formation der Felsen.

Euphorbia canariensis L., zahlreiche Sempervivum-Arten u. s. w. An feuchten Stellen Adiantum capillus Veneris L., etc.

C. Sumpf- und Wasservegetation.

Infolge Trockenheit des Klimas sind die Formationen feuchter Ufer an Bächen etc., die Süßwassersümpfe, die Süßwasserflächen etc. ganz untergeordnet.

D. Formation des Meeresstrandes.

Felsen, Steinfelder, grober Sand. Charakteristisch sind namentlich Statice-Arten.


© 2002, Kurt Stüber, MPI für Züchtungsforschung.
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