H. Schenk: Betraege zur Kenntnis der Vegetation der Canarischen Inseln

§ 3. Allgemeines über die Gliederung der Vegetation auf Tenerife.

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I. Allgemeiner Teil.

§ 4. Allgemeines über die Gliederung der Vegetation auf Tenerife.

(Von A. F. W. SCHIMPER.)

"Die Hauptinsel Tenerife erhebt sich aus dem Meere als eine dreikantige Pyramide, die sich oberwärts in zwei durch die Ebene von Laguna getrennte Kegelgruppen teilt, die von Anaga im Nordosten, die des Teyde im Westen.

Die steilen Gebirgswände bedingen namentlich Unterschiede der verschiedenen Seiten der Pyramide. Die Nordseite ist etwas kühler als die nach Südost und Südwest gerichteten Seiten; Winde von N. und O. blasen hier ununterbrochen, und die Luft ist reich an Wasserdampf, welcher sich von 700 m Höhe an zu Neben kondensiert und den hier beinahe stets vorhandenen, bald mehr bald weniger dichten Wolkengürtel liefert, über welchem der Gipfel des Teyde sich im trockenen SW.-Passat erhebt. In dieser Wolkenregion giebt es auch im Sommer regelmäßige, allerdings sehr leichte Niederschläge; unterhalb derselben aber sind die Regen auf die Wintermonate beschränkt und fallen in großen Zwischenräumen als Platzregen nieder.

An der Südost- und Südwestseite ist die relative Luftfeuchtigkeit sowohl wegen der höheren Temperatur als der größeren Ruhe der Luft geringer; der Nebelgürtel ist schwach und unbeständig, die winterlichen Regengüsse sind selten und können sehr gering werden.

So bedingt die mächtige Erhebung der Insel große klimatische Unterschiede sowohl in wagerechter, wie in senkrechter Richtung und bewirkt in beiden Unterschiede der Vegetation. Die horizontale Gliederung der letzteren ist beinahe nur eine solche in mehr und in weniger ausgeprägte xerophile Formationen; weit auffallender ist die vertikale Gliederung, denn hier wirken weit größere Unterschiede der Temperatur und der Feuchtigkeit auf das Pflanzenleben als in horizontaler Richtung. Drei ganz ungleiche Klimate folgen übereinander, das trockenwarme der baselen Region, das feuchtkühle der Wolkenregion, das trockenkalte der in den NW.-Passat sich erhebenden Gipfels. Wenige Punkte des Erdballes zeigen eine so scharfe vertikale Trennung der Klimate und dementsprechend eine so auffallende vertikale Gliederung der Vegetation, Bereits HUMBOLDT hat dieselbe, trotz der Kürze seines Aufenthalts, in allen wesentlichen Zügen erkannt; seit seiner Schilderung sind die Regionen des Pico de Teyde zu wiederholten Malen, jedoch ohne wesentliche Abweichung, charakterisiert worden, und dieses Beispiel der vertikalen Gliederung der Vegetation wird als klassisch in vielen Lehrbüchern behandelt.

Dennoch dürfte es wohl Höhenkegel geben, wo der Zusammenhang der vertikalen Gliederung der Atmosphäre und der Vegetation, wenn auch nicht auffallender, sodoch weit einfacher und gleichmäßiger zum Vorschein kommt. Nirgends giebt es allerdings einen Kegel, dessen Vegetationsgürtel durch horizontale Kreise begrenzt werden, denn stets sind klimatische Unterschiede wenigstens an der Nord- und Südseite vorhanden, welche schiede Lagen der Regionen bedingen. Auf Tenerife, im besonderen an dem Teydemassiv, bedingen außerdem große Unebenheiten der Oberfläche und die ungleiche Verteilung des Wassers im Boden große Unterschiede der Standorte, welche eine ungemein reiche Differenzierung der Vegetation der einzelnen Gürtel hervorrufen.

Die wesentlichsten Unebenheiten sind durch die Thäler und die Schluchten bedingt. Erstere sind wenig zahlreich, um so zahlreicher hingegen die letzteren, die sogenannten Barrancos, schmale, aber oft tiefe Rinnen, die strahlenartig von den Gipfeln bis zum Meere laufen, einfach bleibend oder mit anderen anastomosierend, dauernd oder zeitweise den Regen der Höhen dem Meere zuführen und eine ganz andere Vegetation beherbergen als die dazwischen befindlichen Rücken. Dazu kommen größere, mehr kesselartige, feuchte und windgeschützte Schluchten, die ebenfalls eine sehr charakteristische Vegetation besitzen, und als Gegenstück dazu hügelförmige Kegeln, von welchen das Wasser herabsickert und die von Winde fortwährend gefegt werden.

Die chemische Beschaffenheit des Bodens kommt auf Tenerife für die Gliederung der Vegetation nur am Meeresstrand in Betracht, wo das Kochsalz wie überall das Vorhandensein einer besonderen Flora mit charakteristischer Oekologie bedingt. Die Gesteine Tenerifes sind allerdings chemisch nicht ganz gleichartig; im oberen Teile der Insel tritt der trachytische Kern aus dem Basalt hervor, doch ist der Kalkunterschied, der allein in Betracht kommen könnte, zu gering. Viel wesentlicher ist die physikalische Beschaffenheit des Bodens. Die Lavafelder stellen unfruchtbare Flächen dar, malpaiso genannt, welche nur spärlich von der Vegetation beansprucht werden; kaum fertiler sind die Tuffbildungen, außer wenn sie sich an sehr feuchten Stellen befinden. Größere Fruchtbarkeit tritt nur dort ein, wo Asche der Lava oder dem Tuff beigemengt ist. Eine große Rolle spielen als Standorte von Pflanzen die Felswände und Blöcke oder, besser gesagt, deren von erdigen Bestandteilen gefüllte Spalten, denn die harten Flächen sind, außer vom Wasser berieselt, nackt oder mit spärlich gesätem Moos- oder Flechtenflor besetzt. Endlich seien noch die Höhlen und die spärlichen durch Stauen der Bäche entstehenden Teiche erwähnt.

Im Gegensatz zu Kerguelen, wo die Standortsunterschiede in der Flora kaum zum Vorschein kommen, hat hier auf den Canaren, dank dem großen Alter der Flora, eine außergewöhnlich starke standörtliche Differenzierung stattgefunden, so daß jede Höhenregion einem reichen Mosaik gleicht, in welchem kleine bunte Steinchen sich zu größeren Figuren gruppieren, welche letzteren sich teils in unsymmetrischem Wechsel, teils in bestimmt orientierten, bald mehr, bald weniger schärferen Streifen gruppieren."


© 2002, Kurt Stüber, MPI für Züchtungsforschung.
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