Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

[Vorige Tafel] [Inhaltsverzeichniss] [Nächste Tafel]

Tafel 5


Hohe Auflösung

Strasse über den Quindiu, in der Cordillera der Anden.

In dem Königreich Neu-Granada, vom 2°30´ bis zum 5°15´ der N. Br. theilt sich die Anden-Cordillera in drei Parallel-Ketten, von denen blos die, auf beiden Seiten liegenden, in sehr beträchtlichen Höhen mit Sandstein und andern secondären Bildungen bedeckt sind.

Die östliche Kette scheidet das Thal vo ndem Magdalenen-Fluss von den Ebenen des Rio Meta. Auf ihrem westlichen Abhang befunden sich die natürlichen Brücken von Icononzo, welche wir so eben beschrieben haben. Ihre höchsten Gipfel sind der Pazomo de la summa Paz, der von Chingasa, und die Cerros de San-Fernando und von Tuquillo. Indess erhebt sich keiner bis zur Region des ewigen Schnees, und ihre mittlere Höhe beträgt vier tausend Meters, also fünfhundert und vier und sechzig Meters mehr, als das höchste Gebirg in den Pyrenäen.

Die Central-Kette theilt ihre Wasser zwischen dem Bassin des Magdalenen-Flusses und dem des Rio Cauca. Oft erreicht sie die Region des ewigen Schnees, und überschreitet sie sehr ansehnlich in den colossalen Gipfeln des Guanacas, des Baragan, und des Quindiu, welche sich fünf bis sechsthalbtausend Meters über den Meeresspiegel erheben. Beim Aufgang und Untergang der Sonne gewährt diese Central-Kette den Bewohnern von Santa-Fe ein prächtiges Schauspiel, und erinnert, nur mit weit imposanteren Dimensionen, an die Alpenansichten in der Schweiz.

Die westliche Kette der Anden trennt das Thal des Cauca von der Provinz Choco und den Küsten des Süd-Meers. Ihre Höhe beträgt kaum fünfzehnhundert Meters, und sie senkt sich, zwischen den Quellen des Rio Atracto und denen des Rio San-Juan, so stark, dass man ihre Verlängerung gegen den Isthmus von Panama nur mit Mühe verfolgen kann.

Diese drei Gebirgsketten treffen nordwärts, unter dem Parallelkreis von Muzo und Antioquia, den 6° u. 7° der N. Br. zusammen. Auch bilden sie im Süden von Popayan, in der Provinz Pasto, eine einzige Gruppe, Eine Masse. Uebrigens muss man sie ja mit der Eintheilung der Cordilleren nicht verwechseln, wie die Bouquer und la Condamine, im Königreich Quito, vom Aequator bis zum 2° der S. Br. beobachtet haben.

Die Stadt Santa Fe de Bogota, die Hauptstadt von Neu-Granada liegt westlich von dem Paramo von Chingasa, auf einem Plateau, das sich in einer absoluten Höhe von zweitausend sechshundert und fünfzig Meters auf dem Rücken der östlichen Cordillera hinzieht. Diese besondere Gestaltung der Anden macht, dass man um von Santa Fe nach Popayan und an die Ufer des Cauca zu kommen, entweder über Mesa oder über Tocayma, oder über die natürlichen Brücken von Icononzo von der östlichen Kette herabsteigen, das Thal von dem Magdalenenfluss durchschneiden, und die Central-Kette passiren muss. Die besuchteste Strasse ist indess die vom Paramo de Guanacas, welchen Bouguer, auf seiner Rückkehr von Quito nach dem americanischen Carthagena, beschrieben hat. Auf diesem Weg legt der Reisende den Kamm der Central-Cordillera, mitten in einem bewohnten Lande, in Einem Tag zurück. Indess habe ich dieser Strasse die über das Quindiu- oder Quindo-Gebirg, zwischen den Städten Ibague und Carthago, vorgezogen. (Der Eingang in diese Strasse ist auf der fünften Kupfertafel vorgestellt). Ich habe diese geographischen Bestimmungen für unerlässlich gehalten, um die Lage eines Orts kennbar zu machen, den man auf den besten Karten vom mittäglichen America, wie z. B. auf der von La Cruz, vergeblich suchen würde.

Das Quindiu-Gebirg (Br. 4°36´, Läng. 5°12´) wird als die beschwerlichste Strasse in der Cordillera der Anden angesehn. Es ist ein dichter, völlig unbewohnter Wald, den man auch in der besten Jahrszeit nicht schneller, als in zehn oder zwölf Tagen zurücklegt. Hier findet man keine Hütte, keine Lebensmittel, und die Reisenden versehen sich in jeder Jahrszeit auf einem ganzen Monat mit Vorräthen, weil es nur zu oft geschieht, dass sie durch das Schmelzen des Schnees und das plötzliche Anschwellen der Giesbäche so sehr abgeschnitten werden, dass sie weder auf der Seite von Carthago noch auf der von Ibague herabkommen können. Der höchste Punkt des Wegs, die Garita del Paramo, liegt drei tausend fünfhundert und fünf Meters über der Fläche des Oceans. Da der Fuss des Gebirgs, gegen die Ufer des Cauca hin, nicht über neun hundert drei und sechzig Meters erhaben ist, so geniesst man daselbst im Durchschnitt ein sehr mildes und gemässigtes Clima. Der Pfad über die Cordillera ist so eng, dass seine gewöhnliche Breite nicht über 3 bis 4 Decimeters beträgt, und er gröstentheils einer offenen, durch einen Felsen gehauenen, Gallerie ähnlich ist. In diesem Theil der Anden ist der Fels, wie beinah sonst überall, mit einer dekcen Thonlage bedeckt. Die Wasserbäche, welche von dem Gebirg herabfliessen, haben Schluchten von sechs bis sieben Meters Tiefe ausgespült. Diese Schluchten, in denen sich der Weg fortzieht, sind mit Morast angefüllt, und ihre Dunkelheit wird noch durch die dichte Vegetation, welche ihren Rand einfasst, vermehrt. Die Ochsen, deren man sich in diesen Gegenden gemeiniglich als Saumthiere bedient, kommen nur mit grösster Mühe in diesen Gallerien fort, welche bis auf zwei tausend Meters Länge haben. Hat man das Unglück, selchen Saumthieren zu begegnen, so ist kein anderes Mittel, ihnen aus dem Wege zu gehn, als den Pfad wieder zurück zu wandeln, oder auf die Erdmauer zu steigen, welche die Schlucht einfasst, und sich da an den Wurzeln festzuhalten, die von dem Baumwerk der Höhen hervorragen.

Als wir im Monat October 1801, zu Fuss und mit zwölf Ochsen, welche unsere Instrumente und Sammlungen trugen, das Quindiu-Gebirg bereissten, litten wir sehr viel durch die beständigen Plazregen, denen wir die drei oder vier letzten Tage, bei unsrem Herabsteigen von dem westlichen Abhang der Cordillera, ausgesetzt waren. Der Weg führte durch ein sumpfiges, mit Bambusschilf bedecktes Land. Die Stacheln, wmit die Wurzeln dieser gigantesken Grasart bewafnet sind, hatten unsre Fussbekleidung so sehr zerrissen, dass wir genöthigt waren, wie alle Reisenden, die sich nicht von Menschen auf dem Rücken tragen lassen wollen, baarfuss zu gehen. Dieser Umstand, die beständige Feuchtigkeit, die Länge des Wegs, die Muskelkraft, welche man, um auf dichtem und schlammigem Thon zu gehen, anwenden muss, und die Nothwendigkeit, durch sehr tiefe Giessbäche von äusserst kaltem Wasser zu waten, machen diese Reise gewiss äusserst beschwerlich; aber in so hohem Grade sie das auch ist, so hat sie doch keine der Gefahren, womit die Leichtgläubigkeit des Volks die Reisenden schreckt. Der Pfad ist freilich schmal, aber die stellen sind sehr selten, da er an Abgründen wegführt. Da die Ochsen immer ihre Beine in dieselben Fussstapfen stellen, so bildet sich dadurch eine Reihe von kleinen Gräben, die den Weg durchschneiden, und zwischen denen eine sehr egen Erderhöhung sich ansetzt. Bei starkem Regen stehen diese Dämme unter dem Wasser, und der Gang des Reisenden wird nun doppelt unsicher, da er nicht weiss, ob er auf den Damm oder in den Graben seinen Fuss setzt.

Da nur wenige wohlhabende Personen in diesen Klimaten geübt sind, fünfzehn, bis zwanzig Tage hinter einander, und auf so beschwerlichen Wegen, zu Fuss zu gehen, so lässt man sich von Menschen tragen, welche sich einen Sessel auf den Rücken gebunden haben; indem es beim gegenwärtigen Zustand der Strasse über den Quindiu unmöglich wäre, sie auf Mauleseln zurückzulegen. Man spricht daher in diesem Lande vom Reisen, auf dem Rücken eines Menschen, (andar en carguero), wie man anderwärts von einer Reise zu Pferd redet. Auch verbindet man gar keine erniedrigende Vorstellung mit dem Gewerbe des Cargueros, und die, welche es treiben, sind keine Indianer, sonders Metis, und manchmal sogar Weisse. Oft hört man mit Erstaunen nackte Menschen, welche dieses, in unsern Augen so entehrende, Handwerk treiben, mitten im Walde sich herumstreiten, weil der eine dem andern, welche eine weissere Haut zu haben behauptet, die hochtönenden Titell, Don und Sa Merced, verweigert. Die Cargueros tragen gewöhnlich sechs bis sieben Arrobas (fünf und siebenzig bis acht und achtzig Kilogramme), und manche sind so stark, dass sie sogar neun Arrobas aufladen. Bedenkt man die ungeheure Anstrengung, welche diese Unglücklichen die acht bis neun Stunden machen müssen, so sie täglich in diesem Gebirgsland zurücklegen; weiss man, dass ich ihr Rücken manchmal wund gedrückt wird, wie der der Saumthiere, und dass die Reisenden oft grausam genug sind, sie, wenn sie krank werden, mittem im Walde liegen zu lasse; weiss man überdiess, dass sie auf einer Reise von Ibague nach Carthago, in einer Zeit von fünfzehn und selbst von fünf und zwanzig bis dreissig Tage, nicht mehr, als 12 bis 14 Piaster (60 bis 70 fr.) gewinnen, so begreift man kaum, wie alle starke, junge Leute, die am Fus dieser Gebirge wohnen, das Gewerbe der Cargueros, eines der mühseligsten von allen, denen sich die Menschen ergeben, freiwillig wählen könne. Allein der Hang zu einem freien, herumstreifenden Leben, und die Idee einer gewissen Unabhängigkeit in den Wäldern lässt sie diese beschwerliche Beschäftigung den monotonen und sitzenden Arbeiten der Städte vorziehn.

Indess ist der Weg über das Quindiu-Gebirge nicht die einzige Gegend im südlichen America, wo man auf dem Rücken von Menschen reisst. Die ganze Provinz von Antioquia z. B. ist mit Gebirgen umgeben, über welche so schwer zu kommen ist, dass diejenigen, die sich der Geschicklichkeit eines Carguero nicht anvertrauen wollen, und nicht stark genug sind, um den Weg von Santa-Fe de Antioquia nach der Boca de Nares, oder dem Rio Samana zu Fuss zu machen, dieses Land gar nicht verlassen können. Ich habe einen Bewohner dieser Provinz gekannt, dessen Körperumfang ungewöhnlich gross war. Er hatte nur zween Metis gefunden, welche im Stande waren, ihn zu tragen, und er hätte unmöglich wieder nach Hause zurückkehren können, wenn diese beiden Cargueros während seines Aufenthalts an den Ufern des Magdalenenflusses, in Mompox oder in Honda, gestorben wären. Der jungen Leute, die sich in Cocho, in Ibague und in Medellin als Lastthiere gebrauchen lassen, sind so viele, dass man manchmal ganzen Reihen von fünfzig bis sechzig begegnet. Als man vor einigen Jahren den Plan hatte, den Gebirgsweg von dem Dorfe Nares nach Antioquie für die Maulthiere zu bahnen, so machten die Cargueros in aller Form Vorstellungen gegen die Verbesserung der Strasse, und die Regierung war schwach genug, ihren Einwendungen zu willfahren. Indess muss hier auch bemerckt werden, dass die mexicanischen Bergwerke eine Menschen-Classe enthalten, die keine Beschäftigung hat, als Andere auf ihrem Rücken zu tragen. In diesen Klimaten sind die Weissen so träge, dass jeder Bergwerksdirektor einen oder zween Indianer in seinem Sold hat, welche seine Pferde (Cavallitos) heissen, weil sie sich alle Morgen satteln lassen, und, auf einen kleinen Stock gestützt, und mit vorgeworfenem Körper, ihren Herrn von einem Theil des Bergwerks nach dem andern tragen. Unter den Cavallitos und Cargueros unterscheidet und empfiehlt man den Reisenden diejenigen, die sichere Füsse, und einen sanften gleichen Schritt haben, und es thut einem recht wehe, von den Eigenschaften eines Menschen in Ausdrücken reden zu hören, womit man den Gang der Pferde und Maulthiere bezeichnet.

Diejenigen, welche sich auf dem Sessel eines Carguero tragen lassen, müssen mehrere Stunden hinter einander unbeweglich und rückwärts den Körper gesenkt dasitzen. Die geringste Bewegung würde den, der sie trägt, stürzen machen, und ein Sturz ist hier um so gefährlicher, da der Carguero, in zu grossem Vertrauen auf seine Geschicklichkeit, oft die steilsten Abhänge wählt, oder auf einem schmalen und glitschigen Baumast über einen Waldstrom setzt. Indess sind Unglücksfälle sehr selten, und müssen, wo sie auch geschiehen sind, der Unklugheit der Reisenden beigemessen werden, welche durch einen Misstritt ihres Carguero erschreckt, von ihrem Sessel herabgesprungen sind.

Die fünfte Kupfertafel stellt eine sehr pittoreske Gegend vor; welche man beim Eingang in das Quindiu-Gebirge, bei Ibaque, auf einem Punkte sieht, der der Fuss von la Cuesta heisst. Der abgestumpfte Kegel des Tolima, der mit ewigem Schnee bedeckt ist, und durch seine Form an den Cotopaxi und Cayembe erinnert, wird über einer Masse von Granitfelsen sichtbar. Der kleine Fluss Combeima, der seine Wasser mit denen des Rio Cuello vermischt, schlängelt sich durch ein enges Thal, und bahnt sich seinen Weg durch ein Gebüsch von Palmbäumen. Im Hintergrund sieht man einen Theil der Stadt Ibaque, das grosse Thal vom Magdalenenfluss und die östliche Kette der Anden. Von vorne erblickt man einen Trupp Cargueros, welche den Weg in das Gebirge nehmen. Man bemerkt die sonderbare Art, womit der Sessel, der von Bambusholz gemacht ist, auf den Schultern fest gebunden, und durch ein Stirnband, wie bei Pferden und Ochsen, im Gleichgewicht gehalten wird. Die Rolle welche der dritte Carguero in der Hand hält, ist das Dach, oder vielmehr das tragbare Haus, dessen sich der Reisende auf seinem Weg durch die Wälder des Quindiu bedient. Ist man in Ibague angekommen, und rüstet sich zu dieser Reise, so lässt man in den benachbarten Gebirgen einige hundert Vijao-Blätter schneiden, einer Pflanze aus der Familie der Pisangs, welche ein neunes, an das des Thalia gränzendes, Geschlecht sind, wie die des Musa, haben einen ovale Form, 54 Centimeters (20 Zoll) Länge, und 37 Centimeters (14 Zoll) Breite. Ihre untere Fläche ist silderweiss und mit einer mehlichten Materie bedeckt, die sich schuppenweise ablöst. Dieser eigenthümliche Firnis macht, dass sie dem Regen lange widerstehen können. Sammelt man sie, so macht man einen Einschnitt in die Hauptrippe, welcher die Stelle eines Hakens vertritt, an dem man sie aufhängt, wenn man das tragbare Dach aufrichtet; dann dehnt man sie aus, und rollt sie sorgfältig zu einem cylinderförmigen Pack zusammen. Um eine Hütte, in welcher sechs bis acht Personen schlafen können, zu bedecken, braucht man fünfzig bis sechszig Kilogramme Blätter. Kommt man mitten in den Wäldern auf eine Stelle, wo der Boden trocken ist, und man die Nacht zubringen will, so hauen die Cargueros einige Baumäste, die sie in Form eines Zelts zusammenstellen. In einigen Minuten ist dieses leichte Gebälke mit Lianen- und Agaven-Fasern, die drei bis vier Decimeters von einander parallel laufen, in Quadrate getheilt. Während dieser Zeit hat man den Pack von Vijao-Blättern auseinander gerollt, und mehrere Personen sind beschäftigt, sie an dem Gegitter zu befestigen, das sie am Ende, wie mit Dachziegeln, bedecken. Dergleichen Hütten sind sehr frisch und bequem, ob man sie gleich in gröster Eile aufführt. Bemerkt der Reisende bei Nacht, dass der Regen eindringt, so zeigt er nur die Stelle, welche tropft, und ein einziges Blatt hilft dem Uebelstand ab. Wir brachten im Thal von Boquia mehrere Tage unter einem solchen Blätterzelt, ohne nass zu werden, zu, obgleich der Regen sehr stark und beinah unaufhörlich war.

Das Quindiu-Gebirg ist eine der reichsten Gegenden an nützlichen und merkwürdigen Pflanzen. Hier fanden wir den Palmbaum (Ceroxylon andicola), dessen Stamm mit vegetabilischem Wachs bedeckt ist; Passionsblumen in Bäumen, und den prächtigen Mutisia grandiflora, dessen scharlachlothe Blumen sechszehn Centimeters (sechs Zoll) lang sind. Die Wachs-Palme erreicht die ungeheure Höhe von acht und fünfzig Meters, oder hundert und achtzig Fuss, und der Reisende erstaunt, eine Pflanze, aus diesem Geschlecht unter einer beinah kalten Zone, und über zweitausend achthundert Meters über der Meeresfläche zu finden. (Siehe meine Ideen zu einer Geographie der Pflanzen, S. 59. und mein Recueil d´observations astronomiques, B. II. S. 21. Die Plantes équinoxiales décrites et publiées par M. Bonpland, B. I. S. 3. 76 und 177. Pl. I, XXII. und L.


Diese Seite ist Teil von Kurt Stübers online library.
Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
© Kurt Stüber, 2002.