Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 6


Hohe Auflösung

Der Fall des Tequendama.

Das Plateau, auf welchem die Stadt Santa-Fe de Bogota liegt, hat in mehreren Zügen Aehnlichkeit mit demjenigen, auf welchem sich die mexicanischen Seen befinden. Beide sind höher als das Kloster auf dem Sanct Bernhard, und zwar das erste zweitausend sechshundert und sechszig Meters (1,365 Toisen); und das zweite zweitausend zweihundert sieben und siebenzig Meters (1,168 Toisen) über dem Meeresspiegel erhaben. Das Thal von Mexico ist mit einer Zirkelmauer von Porphyr-Gebirgen umgeben, und in seiner Mitte mit Wasser bedeckt; indem keiner der vielen Giessbäche, die sich in dieses Thal herabstürzen, ehe die Europäer den Kanal von Huehuetoca gegraben hatten, in demselben einen Ausfluss fand. Das Plateau von Bogota ist gleichermassen mit hohen Gebirgen eingefasst, und der wagrechte Zustand seines Bodens, seine geologische Beschaffenheit, die Form der Felsen von Suba und Facatativa, die sich wie Eilande in der Mitte der Steppen erheben, alles scheint hier das ehemalige Daseyn eines Sees zu verrathen. Das Fluss Funzha, welcher gewöhnlich Rio de Bogota heisst, hat sich, nachdem er alle Wasser des Thals aufgenommen, durch die Gebirge, die südwestlich von der Stadt Santa-Fe liegen, ein Bette gebrochen. Bei der Pächterei Tequendama verlässt er das Thal, und stürzt sich durch eine enge Oeffnung in eine Kluft, die sich gegen das Bassin des Magdalenen-Flusses herabzieht. Versuchte man es, diese Oeffnung, die einzige in dem Thal von Bogota, zu verschliessen, so würden diese fruchtbaren Ebenen sehr bald in einen See, der den mexicanischen Seen ähnlich wäre, verwandelt seyn.

Es ist gar nicht schwer, den Einfluss zu entdecken, den diese geologischen Thatsachen auf die Traditionen der alten Bewohner der Gegenden gehabt haben. Indess wollen wir nicht entscheiden; ob der Anblick dieser Orte selbst bei Völkern, welche von der Civilistaion nicht mehr sehr ferne waren, auf Hypothesen über die ersten Revolutionen des Globus geleitet hat, oder ob die grossen Ueberschwemmungen im Thale von Bogota neu genug gewesen sind, um sich im Andenken der Menschen zu erhalten. Ueberall vermischen sich historische Ueberlieferungen mit religiösen Meinungen, und es ist merkwürdig, hier an diejenigen zu erinnern, welche der Eroberer dieses Landes, Gonzalo Ximenez de Quesada, als er zuerst in die Gebirge von Cundinamarca eindrang, unter den Muyscas- Panchas- und Natagaymas-Indianern verbreitet gefunden hat. (Siehe Lucas Fernandez Pieddrahita, Obispo de Panama, Historia general del nuevo Reyno de Grenada, S. 17. Ein Werk, das nach Quesada´s Handschriften ausgearbeitet ist.)

In den ältesten Zeiten, ehe noch der Mond die Erde begleitete, erzählt die Mythologie der Muyscas- oder Mozcas-Indianer, lebten die Bewohner des Plateau von Bogota als Barbaren, nakt, ohne Ackerbau, ohne Gesetze und ohne Religion. Plötzlich erschien aber ein Greis unter ihnen, welcher aus den Ebenen östlich von der Cordillere von Chingasa kam, und von einer andern Raçe zu seyn schien, als der der Eingeborenen; indem er einen langen, starken Bart trug. Er war unter drei verschiedenen Namen bekannt, nemlich als Bochica, Nemquetheba und Zuhé. Dieser Greis lehrte die Menschen, gleich Manco-Capac, sich zu bekleiden, Hütten zu bauen, die Erde zu bearbeiten, und sich in Gesellschaft zu vereinigen. Bei sich hatte er eine Frau, welcher die Tradition gleichfalls drei Namen giebt, und zwar Chia, Yubecayguaya und Huythaca. Dieses Weib, das ausserordentlich schön, aber auch eben so boshaft war, arbeitete ihrem Mann in Allem, was er zum Glück der Menschen unternahm, entgegen. Durch ihre Zauberkünste machte sie den Fluss Funzha anschwellen, dessen Wasser as Thal von Bogota überschwemmten. In dieser Fluth kamen die meisten Einwohner um, und nur einige retteten sich auf die Spitze der benachbarten Gebirge. In seinem Zorn hierüber verjagte der Greis die schöne Huythaca weit von der Erde; sie wurde zum Mond, der von da an unseren Planeten bei Nacht beleuchtet. Endlich zerriss Bochica, sich der auf den Gebirgen umherirrenden Menschen erbarmend, mit mächtiger Hand die Felsen, welche das Thal, auf der Seite von Canoas uns Tequendama, schliessen, liess die Wasser des Sees von Funzha durch diese Oeffnung abfliessen, vereinigte die Völker aus neue im Thal von Bogota, baute Städte, führte die Anbetung der Sonne ein, ernannte Oberhäupter, unter welche der die geistliche und weltliche Macht vertheilte, und zog sich am Ende, unter dem Namen Idacanzas, in das heilge Thal von Iraca, bei Tunja zurück, wo er in Uebungen der strengsten Busse noch über zweitausend Jahre lang fortlebte.

Reisende, die die imposante Lage der grossen Kaskade des Tequendama gesehen haben, werden sich nicht wundern, dass rohe Menschen diesen Felsen, welche wie ovn Menschenhänden durchgehauen scheinen; diesem engen Schlund, in den sich ein Fluss stürzt, der alle Wasser des Thals von Bogota aufnimmt; diesen Regenboden, die in den schönsten Farben glänzen, und jeden Augenblick ihre Form verändern; dieser Dunstsäule, die sich wie eine dicke Wolke erhebt, und die man in einer Entfernung von fünf Meilen bei einem Spaziergange um die Stadt Santa-Fe noch erkennt, dass sie allem diesem einen wunderbaren Ursprung gegeben haben. Von solchem majestätischem Schauspiel kann die sechste Kupfertafel nur eine schwache Vorstellung geben; denn, wenn es schwer ist, die Schönheiten einer Kaskade zu beschreiben, so ist es noch viel schwerer, sie in einer Zeichnung fühlbar zu machen. Der Eindruck, den sie auf die Seele des Beobachters machen, hängt von mehreren Umständen ab. Die Wassermasse, die sich herabstürzt, muss in richtigem Verhältniss zur Höhe ihres Falls seyn und die, sie umgebenden Gegend einen romantischen, wilden Karakter haben. Die Pissevache und der Staubbach in der Schweiz haben eine sehr grosse Höhe, aber ihre Wassermasse ist unbeträchtlich. Der Niagara- und der Rheinfall hingegen zeigen eine ungeheure Wassermasse, aber ihr Fall ist nicht über fünfzig Meters Höhe. Eine Kaskade, die mit nur wenig erhabenen Hügeln umgeben ist, macht weniger Wirkung, als die Wasserfalle, die man in den tiefen Thälern der Alpen, der Pyrenäen, und besonders der Anden-Cordillera sieht. Ausser der Höhe und dem Umfang der Wassersäule, ausser der Gestaltung des Bodens und dem Anblick der Felsen, giebt die Kraft und die Form der Bäume und der Graspflanzen, ihre Vertheilung in Gruppen, oder einzelne Sträusse, und der Kontrast zwischen den Steinmassen und der frischen Vegetation solchen grossen Naturscenen einen besondern Karakter.So würde der Sturz des Niagara noch viel schöner seyn, wenn seine Umgebungen statt sich unter einer nördlichen Zone, in der Gegend der Pinien und Eichen zu befinden, mit Heliconia, Palmen und baumartigem Farrenkraut geschmückt wären.

Der Fall (Salto) des Tequendama vereinigt alles, was eine Gegend im höchsten Grade mahlerisch machen kann. Indess ist er nicht die höchste Kaskade auf der Erde, wie man im Lande selbst glaubt (Piedrahita, S. 19. Julian, la Perla de la America, provincia de Santa Martha, 1787, S. 9.), und wie es die Physiker in Europa wiederholt haben (Gehler physikalisches Wörterbuch, B. IV. S. 655.) Der Fluss stürzt sich nicht, wie Bouguer sagt (Figure da la terre, S. 92.), in einen Abgrund von fünf bis sechshundert Meters perpendiculäre Tiefe; aber es wird kaum eine Kaskade geben, welche bei einer so ansehnlichen Fallhöhe eine so grosse Wassermasse enthält. Der Rio de Bogota hat, nachdem er die Sümpfe zwischen den Dörfern Facativa und Fontibon getränkt, noch bei Canoas, etwas über dem Salte, eine Breite von vier und vierzig Metern, und ist also halb so breit, als die Seine in Paris zwischen dem Louvre und dem Palais des arts. Nahe bei dem Wasserfall selbst, wo die Kluft, die durch ein Erdbeben gebildet zu seyn scheint, nur zehn bis zwölf Meters Oefnung hat, verengt sich der Fluss sehr. Aber noch zur Zeit der Dürre hat die Wassermasse, die sich in zween Streifen hundert und fünf und siebenzig Meters tief herabstürzt, ein Profil von neunzig Quadrat-Metern. Auf der Zeichnung dieser Kaskade hat man zween Männer als Maasstab für die Gesamt-Höhe des Salto angebracht. Der Punkt, auf welchem sie am obern Rande stehn, ist zweitausend vierhundert sieben und sechszig Meters über dem Meeresspiegel erhaben. Von diesem Punkte bis an den Magdalenenstrom hat der kleine Fluss Bogota, welcher am Fuss der Kaskade den Namen Rio de la Mesa, oder Tocayma, oder del Collegio annimmt, noch über zweitausend einhundert Meters Fall, welches über hundert und vierzig Meters auf die gewöhnliche Meile beträgt.

Der Weg, welcher von der Stadt Santa-Fe nach dem Salto des Tequendama führt, geht durch das Dorf Suacha und die grosse Pächterei Canoas, welche durch ihre schönen Weizen-Erndten bekannt ist. Man glaubt, dass die ungeheure Dunstmasse, die sich täglich aus der Kaskade erhebt, und durch den Kontakt der Kalten Luft wieder niedergestürzt wird, viel zur grossen Fruchtbarkeit dieses Theils des Plateau von Bogota beiträgt. In einer kleinen Entfernung von Canoas, auf der Höhe von Chipa, geniesst man eine prächtige Aussicht, welche den Reisenden durch die Kontraste, die sie darstellt, in Erstaunen setzt. Man hat so eben die mit Weizen und Gerste bebauten Felder verlassen, sieht nun, ausser den Aralia´s, der Alstonia theaeformis, den Begonia und dem gelben Fieberrindenbaum (Cinchona cordifolia, Mut.) Eichen, Ulmen und andre Pflanzen um sich her, deren Wuchs an europäische Vegetation erinnert, und entdeckt, wie von einer Terrasse herab, so zu sagen, zu seinen Füssen, ein Land, wo Palmen, Pisangs und Zuckerrohr wachsen. Da die Kluft, welche sich der Rio de Bogota stürzt, an die Ebenen der heissen Region (tierra caliente) stösst, so haben sich einige Palmen bis an den Fuss der Kaskade herangemacht. Wegen dieses besondern Umstands sagen die Bewohner von Santa-Fe, der Fall des Tequendama sey so hoch, dass das Wasser in Einem Sprung aus dem kalten Land (terra fria) in das heisse stürze. Indess sieht man wohl, dass eine Höhen-Verschiedenheit von blos hundert fünf und siebenzig Meters nicht hinlänglich ist, um eine fühlbare Veränderung in der Luft-Temperatur hervorzubringen. Wirklich bewirkt die Höhe des Bodens den Kontrast zwischen der Vegetation des Plateau von Canoas und der in der Kluft nicht; denn wenn der Fels von Tequendama, welcher ein Sandstein auf einer Thon-Basis ist, nicht so schroff abgeschnitten, und das Plateau von Canoas eben so gut vor Wind und Wetter geschützt wäre, so hätten sich die Palmbäume, welche am Fuss der Kaskade wachsen, gewiss schon an den obern Rand des Flusses fortgepflanzt. Uebrigens ist diese Vegetation für die Bewohner des Thals von Bogota um so merkwürdiger, da sie in einem Clima wohnen, wo der Thermometer sehr oft auf den Gefrierpunkt herabsinkt.

Nicht ohne Gefahr ist es mir gelungen, Instrumente in die Kluft selbst, bis an den Fuss der Kaskade zu bringen. Auf einem engen Pfade, (Camino de la Culebra) der nach der Kluft de la Povasa führt, braucht man drei Stunden zum Hinuntersteigen. Unerachtet der Fluss in seinem Sturz eine Menge Wassers verliert, das sich in Dünste verwandelt, so ist der Strom unten dennoch so reissend, dass sich der Beobachter dem Bassin, welches sich der Wasserfall ausgehöhlt hat, auf hundert und vierzig Meters nicht nähern kann. Der Grund dieser Schlucht wird nur schwach vom Tageslicht erleuchtet. Die Einsamkeit des Orts, der Reichthum der Vegetation und das schreckliche Geräusch, welches man vernimmt, macht den Fuss der Kaskade des Tequendama zu einer der wildesten Gegenden in den Cordilleren.


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Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
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