Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 04


Hohe Auflösung

Natürliche Brücken über den Icononzo.

Unter den reichhaltigen majestätischen Scenen, welchen man in den Cordilleren begegnet, ergreifen die Thäler des europäischen Reisenden Einbildungskraft auf meisten. Nur aus einer, sehr ansehnlichen, Entfernung und von den Ebenen aus, die sich von den Küsten bis zum Fuss der Centralkette erstrecken, kann das Auge die ungeheure Höhe dieser Gebirge ganz ermessen. Die Plateau´s, welche ihre, mit ewigem Schnee bedeckten, Gipfel einfassen, liegen grösstentheils zweitausend fünfhundert, bis drei tausend Meters über der Meeresfläche. Dieser Umstand schwächt den Eindruck von Grösse, welchen die Kolossalen-Massen des Chimborazo, des Cotopaxi und Antisana, von den Plateau´s von Riobamba und Quito aus betrachtet, machen, bis auf einen gewissen Punkt. Bei den Thälern aber verhält es sich anders als bei den Gebirgen. Tiefer und enger, als die Alpen- und Pyrenäen-Thäler, enthalten die Thäler der Cordilleren Ansichten, die den wildesten Karakter tragen, und die Seele mit Bewunderung und Schauder erfüllen. Sie sind Klüfte, deren Grund und Rand mit einer kraftvollen Vegetazion geschmükt, und deren Tiefe oft so ansehnlich sind, dass man den Vesuv und den Puy-de-Dome hineinstellen könnte, ohne dass ihre Gipfel über der nächsten Gebirge Saum wegragten. Durch die merkwürdigen Reisen des Herrn Ramond ist das Thal von Ordesa bekannt geworden, das sich von Mont-Perdu herabsenkt, und dessen mittlere Tiefe ungefähr neun hindert Meters (vierhundert neun-und fünfzig Toisen) hält. Auf unsrer Reise auf dem Rücken der Anden, von Pasto nach der Stadt Ibarra, und beim Heruntersteigen von Loxa gegen die Ufer des Amazonen-Stroms, haben wir, Herr Bonpland und ich, die berühmten Klüfte von Chotha und Cutaco durchschritten, von denen die eine über fünfzehnhundert, und die andre über dreizehnhundert Fuss perpendiculärer Tiefe hat. Allein um eine vollständigere Idee von der Grösse dieser geologischen Phänomene zu geben, muss ich bemerken, dass der Grudn dieser Klüfte nur um ein Viertheil niedriger über dem Meeresspiegel steht, als die Strasse über den St. Gotthart und den Mont-Cenis.

Im Thal vor Icononzo ist der Sandstein aus zwo verschiedene Fels-Arten zusammengesetzt. Ein sehr kompakter und quartziger Sandstein, mit wenig Cement, und beinah ganz ohne Schichtenspaltungen, ruht auf sehr feinkörnigtem, und in unzählige, äusserst kleine und beinah horizontlae Lagen getheiltem, Sandsteinschiefer. Man darf annehmen, dass die kompakte und quarzige Lage bei der Bildung der Kluft der Gewalt, welche diese Gebirge zerriss, widerstanden hat, und dass nur die ununterbrochene Festsetzung dieser Lage die Brücke ausmacht, auf welcher man von einem Theil des Thals nach dem andern gelangt. Dieser natürliche Bogen hat 14 1/2 Meter Länge, und 12m,7 Breite. Seine Diche ist im Mittelpunkte 2m,4. Durch sehr sorgfältige Versuche, die wir mit dem Fall von Körpern angestellt und vermittelst eines Chronometers von Berthoud, haben wir die Höhe der obern Brücke über die Wasserfläche das Waldstroms zu 97m,7 herausgebracht. Ein sehr aufgeklärter Mann, Don Iorge Lozano, welcher ein angenehmes Landgut in dem schönen Thal von Fusagasuga besitzt, hatte schon vor uns diese Höhe mit dem Senkblei gemessen, und sie von hundert und zwölf Varas (93m,4.) gefunden; so dass die Tiefe des Stroms, bei mittlerem Wasserstand, sechs Meters zu seyn scheint. Die Indiander von Pandi haben zur Sicherheit der Reisenden, welche in diesem öden Lande indess sehr selten sind, eine kleine Balustrade von Rohren angelegt, die sich gegen den Weg, der nach der obern Brücke führt, verlängert.

Zehn Toisen unter dieser ersten natürlichen Brücke befindet sich eine andere, zu der wir auf einem engen Pfad, welcher an dem Rand der Kluft hinabsteigt, geführt wurden. Drei ungeheure Felsenmassen fielen nemlich so, dass eine die andere stüzt. Die in der Mitte bildet den Schlussstein des Gewölbs, und dieser Zufall hätte bei den Eingebohrnen leicht die Idee von Bogenmauerwerk erwecken können, das den Völkern der neuen Welt eben so unbekannt war, als den alten Bewohnern von Egypten. (Zoega, de Obeliscis, S. 407). Indess will ich nicht entscheiden, ob diese Bruchsteine von fern her geschleudert worden, oder ob sie blos Fragmente eines, zum Theil zerstörten, Bogens sind, welcher ursprünglich der obern, natürlichen Brücke ähnlich war. Leztere Vermuthung wird durch einen analogen Zufall in dem Colosseum zu Rom wahrscheinlich, wo man an einer halbzusammengestürzten Mauer mehrere Steine bemerkt, die in ihrem Falle dadurch aufgehalten wurden, dass sie im Sturze zufälligerweise ein Gewölbe bildeten.

Mitten in der zwoten Brücke von Icononzo befindet sich ein Loch von mehr als acht Quadratmetern Umfang, durch welches man in den Abgrund hinabsehen kann, und wo wir auch unsre Versuche über den Fall der Körper angestellt haben. Der Strom scheint in einer finstern Höhle zu fliessen; und das klägliche Geräusch, das man hört, rührt von einer Menge Nachtvögel her, welche die Kluft bewohnen, und die man in Anfang gern für die gigantischen Fledermäuse halten möchte, welche in den Aequinoktial-Gegenden so bekannt sind. Man sieht sie zu Tausenden über dem Wasser flattern.

Indess haben uns die Indianer versichert, dass diese Vögel von der Grösse eines Huhns sind, Eulen-Augen und einen gekrümmten Schnabel haben. Man nennt sie Cacas, und die Einförmigkeit der Färbung ihres Gefieders, das ein bräunliches Grau ist, macht mich glauben, dass sie nicht zu dem Geschlecht des Caprimulgus gehören, dessen Gattungen auf den Cordilleren in so vieler Mannichfaltigkeit vorhanden sind. Wegen der Tiefe des Thals ist es unmöglich, ihrer habhaft zu werden, und wir konnten sie nicht anders untersuchen, als dass wir Feuerbrände in die Klüfte warfen, um ihre Wände zu erhellen.

Die Höhe der natürlichen Brücke von Icononzo über dem Meeres-Spiegel ist achthundert drei und neunzig Meters (458 Toisen). In den Gebirgen von Virginien, und zwar in der Grafschaft Rock-Bridge ist ein ähnliches Phänomen, wie die obere Brücke, die wir eben beschrieben haben. Es wurde von Herrn Jefferson mit der Sorgfalt untersucht welche alle Beobachtungen dieses vortrefflichen Naturkundigen karakterisirt. (Bemerkungen über Virginien, S. 56). Die natürliche Brücke von Cedar-Kreck, in Virginien, ist eine Bogen von Kalkstein, welcher sieben und zwanzig Meters Oefnung hat, und seine Höhe über der Wasserfläche des Stroms beträgt siebenzig Meters. Die Erdbrücke, (Rumichaca) die wir auf der Senkung der Porphyr-Gebirge von Chumban, in der Provinz de los Pastos, gefunden haben, die Brucke der Mutter Gottes, Dantcu genannt, bei Totonilco in Mexico, und der durchbrochene Felsen bei Grandola, in der Portugiesischen Provinz Alentejo, sind geologische Phänomene, welche sämtlich mit der Brücke von Icononzo einige Aehnlichkeit haben. Indess zweifle ich, ob man bis jetzt irgendwo auf dem Globus einen so ausserordentlichen Zufall begegnet ist, wie der, welcher durch drei Felsmassen, die sich gegenseitig stützen, ein natürliches Gewölbe gebildet hat.


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Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
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