"Ernst Haeckel - Sandalion"

8. Kapitel

Embryonenbilder




Der klassische Embryo des Grafen Spee besitzt aber auch neben diesem ontogenetischen und phylogenetischen noch ein besonderes j u r i s t i s c h e s  Interesse. Denn er bildet einen schweren Indizienbeweis für die böswilligen " F ä l s c h u n g e n " , durch die ich die Wissenschaft schwer geschädigt und meinen persönlichen Kredit eingebüßt haben soll. Es besteht bei allen fachkundigen und urteilsfähigen Embryologen kein Zweifel darüber, daß der Sandalenkeim beim Menschen, wie beim Kaninchen und bei allen aderen Säugetieren, völlig s y m m e t r i s c h  gestaltet ist; die rechte und linke Seitenhälfte der Körpers (welche in der Mittellinie vorn durch die Medullarrinne, hinten durch die Primitivrinne geschieden werden), sind an Größe und Gestalt vollkommen gleich. Dieser Annahme widerspricht aber scheinbar die Rückenansicht, die S p e e  gegeben hat (Fig. B). Denn hier ist der Körperumriß ein wenig unsymmetrisch, im Vorderteil die linke Hälfte etwas schmäler, im Hinterteil umgekehrt etwas breiter als die rechte; auch liegt die Primitivrinne nicht gerade in der Mittellinie, sondern ist hinten etwas nach rechts verschoben. Kein unbefangener Beobachter, der die Schwierigkeiten der Präparation und Konservierung von solchen äußerst zarten und biegsamen, einem dünnen Blättchen gleichenden Keimscheiben kennt, zweifelt daran, daß jene A s y m m e t r i e   g a n z   z u f ä l l i g  ist und keine morphologische Bedeutung hat; sie ist bei der schwierigen öbertragung des delikaten, nur 2 mm langen, 1 mm breiten Blättchens auf den Objektträger entstanden. Wahrscheinlich ist dabei noch eine leichte Zerrung durch einen Rest des Dottersacks schädlich gewesen, der vorn auf der rechten Seite hängen geblieben ist. Graf S p e e  aber, der glückliche Finder dieses Schatzes, hat mit der größten Gewissenhaftigkeit den Sandalenkeim genau so (- e x a c t !  -) gezeichnet, wie er ihn auf dem Objektträger unter dem Mikroskop sah, nicht so (symmetrisch), wie man ihn sich mit Recht vorstellen muß.

Nun habe ich in meiner Anthropogenie (S. 320) die Figur von Graf S p e e  (in Fig. 136) ohne jede Änderung g e n a u  kopiert, d a n e b e n  aber (in Fig. M I auf Taf. V) dasselbe Sandalion verbessert dargestellt; d. h. ich habe die zufällige Asymmetrie beider Körperhälften ausgeglichen und den störenden Rest des anhängenden Dottersackes, sowie den Bauchstiel und das Bruchstück der unten anhängenden Zottenhaut (die gar keine Bedeutung für die bleibende Körperform besitzen) weggelassen. Dies geschah behufs Vergleichung des menschlichen Sandalionkeimes mit den nabenstehenden ähnliche Keimzuständen des Kaninchens und des Schweines. Dieselben drei Sandalien habe ich auf Tafel II meines Vortrages über das "Menschenproblem" (1907) zur Vergleichung nebeneinander gestellt. Ich wiederhole nun hier (in Fig. A.) das korrigierte Schema des menschlichen Sandalion. Ich bin fest überzeugt, daß meine s c h e m a t i s i e r t e  Figur die wahre Körperform des symmetrischen Sandalion richtiger wiedergibt, als die e x a k t e  (- bis jetzt einzig dastehende -) Abbildung des Entdeckers, Graf S p e e ; es wird also der Laie, der zum Vergleiche der Sandalenkeime des Menschen und anderer Säugetiere aufgefordert ist, aus der ersteren sich ein besseres Bild von den wirklichen Gestaltverhältnissen machen können, als aus der letzteren.

D e r   S a n d a l e n k e i m   v o r   G e r i c h t .  Da gerade diese "Schematisierung des Sandalion" von Brass ("Affenproblem" 1909, S. 10) und von anderen Gegnern besonders scharf angegriffen, aber auch von kritischen Anhängern des biogenetischen Grundgesetzes "nicht gutgeheißen" wird, sei hier noch der Hinweis auf eine eventuelle gerichtliche Verurteilung dieser "ungeheuerlichen Fälschung der Tatsachen" gestattet. Wenn einem Staatsanwelt oder einem Richter dieser inkrimierte Fall vorgelegt würde, so wird sein Urteil wahrscheinlich zu meinen Ungunsten ausfallen; denn er kennt weder die betreffenden embryologischen Objekte, noch die Methoden, welche bei ihrer Bearbeitung und Darstellung angewendet werden; er kann auch nicht wissen, worauf es bei dieser Vergleichung ankommt. Er urteilt lediglich nach der Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der beiden vorgelegten Bilder. Da nun in meinem schematisieten Bilde der störende Rest des Dottersackes weggelassen und die zufällige irreführende Asymmetrie beider Körperhälften ausgeglichen ist, wird er mein subjektives verbessertes Bild gegenüber den objektiven exakten Figuren des Grafen S p e e  für eine "Fälschung" erklären. Der e x a k t e  Embryograph wird sich vielleicht diesem verwerfenden Urteile anschließen. Hingegen wird der v e r g l e i c h e n d e  Embryologe, der das Wesentliche in beiden Objekten gleichartig findet, meine "Fälschung" für durchaus berechtigt und für den Lehrzweck nützlich finden.





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erstellt von Christoph Sommer am 13.12.1999