"Ernst Haeckel - Sandalion"

5. Kapitel

Thomasbund




Der jüngere Bruder des katholischen Thomasbundes, der neue evangelische Keplerbund, wurde am 25. November 1907 von einem der eifrigsten Vertreter der "Christlichen Naturwissenschaft" gegründet, D r .   E b e r h a r d   D e n n e r t , Oberlehrer am evangelischen Pädagogium zu Godesberg bei Bonn. Als Zweck des Bundes wird in seinem ersten Flugblatt angegeben: "Förderung der Naturwissenschaft in der Gesamtheit unseres Volkes, aber auch der Kampf der Naturwissenschaft gegen den Monismus". Daß letzterer der H a u p t z w e c k  war, ergibt sich aus seiner Vorgeschichte, wie dem ganzen späteren Verhalten. Schon im ersten Heft der Schriften des Keplerbundes (S. 17) hat sein Gründer, D e n n e r t , dies in folgenden Worten hervorgehoben: "Die religiösen und sittlichen Gefahren, die für unser Volksleben im atheistischen Monismus liegen, waren es, welche den Ausgang für die Gründung lieferten" In der Vorrede dieser Schrift (S. 1) sagt er ausdrücklich: "Die Mitglieder des Keplerbundes stehen auf theistischem Boden."

Auch an vielen anderen Stellen seiner zahlreichen Schriften betont  D e n n e r t  nachdrücklich den besonderen c h r i s t l i c h e n  Charakter seiner mystischen und dualistischen Weltanschauung. Ziel und Zweck seines "Keplerianum", eines speziell zu ihrer Verbreitung gegründeten Lehrinstitutes, ist: "Der Aufbau und die Darbietung einer christlichen Weltanschauung mit naturwissenschaftlicher Orientierung" - und zugleich damit: "Die Zertrümmerung des falschen naturphilosophischen Götzen, genannt Monismus". ("Die Naturwissenschaft und der Kampf um die Weltanschauung. Ein Wort zur Begründung des Keplerbundes" S. 13, Hamburg 1908.)

Die geschickte Reklame, welche D e n n e r t  für seinen christlich orientierten Keplerbund durch zahlreiche Flugschriften und Vorträge ins Werk setzte, sowie die mächtige finanzielle Unterstützung von seiten klerikaler und konservativer Kreise, haben ihm in kurzer Zeit eine große Anzahl von Mitgliedern zugeführt. Außer kleineren Mitteilungen gibt er seit 1909 eine "Illustrierte Monatsschrift zur Förderung der Naturerkenntnis" heraus, unter dem Titel "Unsere Welt". Am deutlichsten sind die Ziele seiner unermüglichen Agitation in einer Schrift erkennbar, welche den Titel führt: " D e r   D a r w i n i s m u s   u n d   s e i n   E i n f l u ß   a u f   d i e   h e u t i g e   V o l k s b e w e g u n g "  (1907 in zweiter Auflage als 11. Heft von "Christentum und Zeitgeist" erschienen). Sie ist insofern interessant, als hier die " L e h r e n   d e r   c h r i s t l i c h e n   W e l t a n s c h a u u n g "  scharf formuliert und den "Lehren der darwinistisch-materialistischen Weltanschauung" klar gegenübergestellt werden (S. 14 bis 16). Da erfahren wir über die erstere folgenden grundlegenden Sätze: "1. Die Welt ist zeitlich begrenzt und von einem e w i g e n   p e r s ö n l i c h e n   G o t t  erschaffen. 2. Die Art und Weise, wie Gott die Welt erschuf, ist uns n i c h t   o f f e n b a r t , tut auch gar nichts zur Sache (?). 3. Als Krone der Schöpfung schuf Gott den M e n s c h e n , indem er i r d i s c h e m   S t o f f   s e i n e n   G e i s t  verlieh und ihm sittliche Freiheit schenkte. 4. G o t t   l e i t e t   u n d   r e g i e r t   d i e s e   W e l t  nach von ihm gegebenen unveränderlichen Naturgesetzen. Eine Durchbrechung derselben von seiten Gottes, ihres Schöpfers und Herrn, ist denkbar, also auch möglich (!). 5. Der Mensch mißbraucht seine Freiheit und stellt sich durch die S ü n d e  mit seinem Schöpfer in Widerspruch, so daß er den Tod erleiden muß. 6. Die geschichtliche Entwickelung des Menschengeschlechts zeigt ein ewiges Schwanken von Glück und Unglück, Frieden und Unfrieden, sittlichen Höhen und Tiefen. Dies ist die Abspiegelung jenes Widerspruches mit Gott; sie hat ihren Grund in der S ü n d e . 7. Im Kampf mit der Sünde stellte sich immer wieder heraus, daß der Mensch zu schwach ist, sie zu überwinden. 8. Da schickte Gott Christus seinen Sohn mur E r l ö s u n g  des Menschengeschlechts. 9. Nun ist dem Menschen die Möglichkeit geboten, sich der Versöhnung mit Gott zu versichern durch den G l a u b e n  an den Opfertod Christi. 10 Diese Versöhnung mit Gott findet ihren Abschluß in einem L e b e n   j e n s e i t s   d e s   T o d e s ."

Diese zehn Thesen bilden den Inhalt des " K e p l e r - K a t e c h i s m u s " , durch welchen D e n n e r t  als "Wissenschaftlicher Direktor des Keplerbundes" dessen christlicher Weltanschauung ein festes Fundament geben will. Jeder unbefangene Denker sehr sofort, daß dieser Katechismus nicht auf dem festen Grunde der naturwissenschaftlichen E r f a h r u n g  ruht, sondern auf mystischer O f f e n b a r u n g , die ihr direkt widerspricht. Er ist ein theologisches Glaubensbekenntnis, dessen Grundlagen die mittelalterlichen Dogmen der christlichen Religion bilden. Während D e n n e r t  "die christliche Weltanschauung naturwissenschaftlich zu orientieren" sucht, wollen andere Mitglieder des Keplerbundes umgekehrt "die Naturwissenschaft christlich orientieren". Beides kommt auf dasselbe hinaus. Ob ich ein halbes Glas Wein in ein halbes Glas Wasser gieße, oder umgekehrt, ist fur die Mischung ganz gleichgültig.

Der Keplerbund nennt sich nach dem Namen des berühmten Astronomen J o h a n n e s   K e p l e r , weil er in ihm "eine vorbildliche Verbindung echter Naturwissenschaft und tiefer Religiosität erblickt". Eine gewaltige Täuschung! Denn die monumentale Größe Keplers beruht bekanntlich in der Aufstellung der drei fundamentalen G e s e t z e   d e r   P l a n e t e n b e w e g u n g  (1609-1619); dadurch wurde er der Vollender des heliozentrischen neuen Weltsystems des N i k o l a u s   K o p e r n i k u s , welches die alte (vom Christentum angenommene) geozentrische Weltanschauung vernichtete (1543); er wurde zugleich Vorläufer des großen I s a a k   N e w t o n , der seinen "Philosophiae naturalis principia mathematica" (1687) die physikalische Astronomie mathematisch begründete. Diese drei großen Astronomen errichteten auf dem untrüglichen Fundamente der M a t h e m a t i k  den festen physikalischen Bau unserer modernen m o n i s t i s c h e n  Weltanschauung; sie zerstörten dadurch die herrschende dualistische Theosophie und die Macht des Wunderglaubens, für welche der evangelische Keplerbund eintritt. Wenn dieser Gegner des Monismus sich trotzdem mit dem Namen K e p l e r  schmückt, so ist das dieselbe F ä l s c h u n g , die der katholische Jesuitenbund mit dem Namen J e s u s  sich erlaubt. Bekanntlich ist die infame Ethik und Politik der Jesuiten das Gegenteil der milden und humanen Sittenlehre, die im Evangelium von Jesus gepredigt wird. Die klare Naturphilosophie des K o p e r n i k u s , K e p l e r  und N e w t o n  ruht auf dem unerschütterlichen Grunde der Mathematik und M e c h a n i k ; ihre bleibenden monistischen Principien werden nicht durch den Umstand erschüttert, daß diese drei großen Männer daneben noch zeitweilig mystische Ideen hegten und hinter ihren Naturgesetzen einen übernatürlichen "Gesetzgeber" suchten und bewunderten. Die "tiefe Religiosität", die der Keplerbund darin erblickt, nehmen wir auch für unsere monistische "echte Naturwissenschaft" in Anspruch, ohne daß wir in unserem allumfassenden Naturgott ein anthropoides Wesen suchen.

Fälscherbund. In meiner Erklärung vom 24. Dezember 1908: "Fälschungen der Wissenschaft" (- veranlaßt durch die scharfen Angriffe von B r a s s  und von T a r t ü f f e  -) hatte ich die jesuitischen Anklagen meiner Gegner wahrheitsgemäß beleuchtet und den evangelischen Keplerbund demgemäß als "Naturphilosophischen Fälscherbund" bezeichnet. Diese Charakteristik ist für ihn ebenso gerechtfertigt wie für den katholischen Thomasbund; denn Ziele und Wege sind in beiden gleich. Das Kuratorium des Kepterbundes (Fürst zu S a l m - H o r s t m a r  und Geheimer Justizrat Z o r n ) wiesen in einer Erklärung vom 12. Januar 1909 diesen Vorwurf mit Entrüstung zurück und bezeichneten ihn als eine " U n g e h e u e r l i c h k e i t " . Ich erlaube mir diesen Herren gegenüber die Anfrage: Ist es k e i n e  Ungeheuerlichkeit, wenn die führenden Autoren des Keplerbundes - auf die f a l s c h e n  Anklagen des Dr. Brass hin! - mich in zahlreichen Artikeln und Broschüren als wissenschaftlichen " F ä l s c h e r  und B e t r ü g e r "  beschimpfen? - einen Naturforscher, der (ungeachtet vieler Irrungen und Versehen) durch ein halbes Jahrhundert mit persönlicher Aufopferung nur das e i n e  Ziel verfolgt hat, in der Natur die W a h r h e i t  zu erkennen und durch ihre Lehre die denkende Menschheit vom Joch des A b e r g l a u b e n s  zu befreien? Selbstverständlich habe ich mit dem schweren Vorwurfe der Fälschung nicht einzelne P e r s o n e n  treffen wollen, sondern die beiden Jesuiten-B ü n d e  als solche, ihr verwerfliches S y s t e m !  In jedem Bunde, in jedem Vereine, in jeder Partei gibt es gut und schlechte, ehrliche und falsche Mitglieder, wie das ja auch bekanntlich von jeder politischen Partei gilt. Die Hauptmasse besteht gewöhnlich aus solchen Personen, die nicht gründlich über die Aufgaben und Wege des Bundes unterrichtet sind, und die bei ihrer unvollständigen Sachkenntnis sich durch Autoritätsglauben oder Gewohnheit, durch äußere Einflüsse oder eigennützige Motive bestimmen lassen. Das gilt von unserem naturalistischen Monistenbund ebenso wie von dem dualistischen Jesuitenbund.

Die großartige F ä l s c h u n g   d e s   W e l t b i l d e s , die wir beiden Jesuitenbünden vorwerfen, besteht darin, daß sie die monistischen Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft mit den mystischen und dualistischen Dogmen der wundergläubigen Kirche verschmelzen wollen. Diese angestrebte "Harmonie von wissenschaftlicher Erfahrung und göttlicher Offenbarung" ist seit Jahrhunderten in zahlreichen Schriften ganz vergeblich versucht worden; so auch in dem neuesten jämmerlichen Produkt des Keplerbundes: "Natur und Bibel in der Harmonie ihrer Offenbarungen", herausgegeben von dem Astronomen J o h a n n e s   R i e m  (Hamburg 1910).

D r .   R u d o f   H o e r n e s , Professor der Paläontologie und Geologie in Graz, hat in zwei vortrefflichen Aufsätzen der zu Graz erscheinenen "Tagespost" eine scharfe und treffende Kritik des Keplerbundes gegeben.

Der erste Artikel, in Nr. 185 (vom 7. Juli 1909) ist teilweise wiedergegeben in Nr. 9 der von B r e i t e n b a c h  redigierten "Neuen Weltanschauung" (1909, S. 345). Da heißt es: "Den Herren vom Keplerbund ist es weder um die Freiheit der Wissenschaft, noch um den Dienst der Wahrheit zu tun, sondern nur um die B e f e s t i g u n g   d e r   w e l t l i c h e n   V o r h e r r s c h a f t   d e r   K i r c h e , zu welchem Zwecke ihnen jedes Mittel dienen soll. Und da sie recht gut die Gefahr erkennen, welche die Verbreitung naturwissenschaftlicher Erkenntnis in den breiten Schichten des Volkes für ihre Bestrebungen hat, so suchen sie d i e   B r u n n e n   z u   v e r g i f t e n , aus welchen jene Erkenntnis quillt. - Es ist nun gewiß merkwürdig, daß orthodoxe Protestanten und Jesuiten gerade den Namen K e p l e r s  auf ihre Fahne schreiben wollen. B e i d e  (die orthodoxen Protestanten vielleicht m e h r  als die katholischen Jesuiten!) haben K e p l e r , als er noch auf Erden wandelte, i n   d e r   n i e d e r t r ä c h t i g s t e n   W e i s e  verfolgt und geschädigt, und jetzt wollen sie den Namen des unsterblichen Naturforschers als Aushängeschild für ihre unlauteren Bestrebungen mißbrauchen. Das ist die reinste Bauernfängerei!"

Der zweite Aufsatz von Professor H o e r n e s  (in Nr. 237 der Grazer Tagespost, vom 27. August 1909) ist abgedruckt in Nr. 41 des " M o n i s m u s "  (Berlin, November 1909, S. 507); er trägt den Titel "Im Interesse der Wissenschaft", und wendet sich speziell gegen die jesuitische Broschüre, welche T e u d t  kurz zuvor unter demselben Titel hatte erscheinen lassen (Heft 3 der Schriften des Keplerbundes). Indem sich H o e r n e s  der Leipziger Deklaration der 46 Zoologen "in ihrem ganzen Inhalt anschließen muß", bemerkt er, daß die von T e u d t  daran geübte Kritik keiner eingehenden Widerlegung würdig sei. In betreff meiner angeblichen "Fälschung von Embryonenbildern" sagt er: "In Wahrheit handelt es sich der Direktion des Keplerbundes darum, durch die Diskreditierung eines der hervorragendsten Vertreter der Entwicklungstheorie dieser selbst einen möglichst großen Schaden zuzufügen; zum mindesten die Verbreitung der ihrer Weltanschauung unbequemen Lehre in Laienkreisen, um welche sich Haeckel ganz besonders verdient gemacht hat, so weit als möglich zu hindern." Auch die "bedenkliche öbereinstimmung mit dem sattsam bekannten Jesuiten W a s m a n n " wird treffend hervorgehoben.

Die jesuitische Presse. Der schwere Kampf mit der klerikalen und konvervativen Presse, zu dem ich seit mehr als 40 Jahren bezwungen bin, hat mich mit bemerkenswerten Erfahrungen über ihre jesuitische Taktik und Praxis bereichert. Da diese sich in den letzten Jahren bei Gelegenheit des Embryonenkampfes mit besonderer Brutalität und Perfidie äußerte, mögen hier einige Hinweise darauf gestattet sein. Die beiden polemischen Broschüren von D r .   A r n o l d   B r a s s  ("Wahrheit" 1906 und "Affenproblem" 1908) wurden von allen Feinden des geistigen Fortschritts und der Aufklärung sofort mit Jubel begrüßt und fanden durch Korrespondenzen der reaktionären Presse die weiteste Verbreitung. Die Kreuzzeitung und die Deutsche Tageszeitung, die Staatsbürgerzeitung und die Augsburger Postzeitung, das Reich und der Reichsbote, die Germania und die Kölnische Volkszeitung, das Bayerische und das ôsterreichische Vaterland, ebenso Hunderte von größeren und kleineren Zeitschriften verbreiteten alsband die falschen Anklagen von B r a s s  in alle Welt - teils im Wortlaut, teils mit Zutaten aller Art gewürzt. Keinem dieser Blätter fiel es ein, diese "vernichtenden" Fälschungsanklagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen oder wissenschaftlich gebildete Sachverständige deshalb zu befragen. Die sachlichen Aufklärungen und Berichtigungen aber, welche die letzteren an verschiedenen Orten gaben, wurden von jener Presse ignoriert. Dagegen wurden mit sichtlichen Behagen immer wieder die "vernichtenden" Anklagen von D r .   B r a s s  wiederholt, die in dem Satze gipfelten: "Haeckel hat an der Wissenschaft das s c h w e r s t e   V e r b r e c h e n  begangen, dessen sich ein Forscher schuldig machen kann." (Vgl. unten S. 45 die "Stichproben".).

Sehr zu bedauern ist es, daß auch ein großer Teil der l i b e r a l e n   P r e s s e , getäuscht durch jene Jesuitentaktik, sich vielfach irreführen ließ, und daß auch viele unbefangene Blätter jenen schweren Anschuldigungen ohne weiteres Glauben schenkten und sie weiter verbreiteten. Schuld daran ist hauptsächlich die U n g e k a n n t s c h a f t   m i t   d e n   b i o l o g i s c h e n   T a t s a c h e n , um welche sich der Embryonenkampf drehte. Sehr schlau und mit großem Erfolge hatte D r .   B r a s s  - als der anerkannte "sachverständige Kronzeuge des Embryonen-Prozesses" - seine Anklagen auf ein dunkles Gebiet verlegt, das den meisten Gebildeten ganz fern liegt, und dessen Verständnis selbst den geschulten Naturforschern besondere Schwierigkeiten bereitet. Nur wenige finden sich in der umfangreichen embryologischen Literatur zurecht. Als ein Beispiel, wie sehr sich die liberale Presse dabei täuschen ließ, mag hier der vielbesprochene Fall "Tartüffe" angeführt werden.

Professor Tartüffe. Nachdem A r n o l d   B r a s s  1908 seine Schmähschrift über "Das Affenproblem" veröffentlicht hatte, erfolgte in Nr. 38 der Münchener "Allgemeinen Zeitung" (vom 19. Dezember 1908, S. 823) eine anonyme Besprechung derselben, die H .   S c h m i d t  in seinen "Dokumenten" auf S. 10 abgedruckt hat. Ich muß deshalb hier besonders darauf eingehen, weil sie die unmittelbare Veranlassung zu meiner Entgegnung vom 24. Dezember wurde und eine lange Kette von Streitigkeiten hervorrief. Der Schwerpunkt dieses "Tartüffe-Artikels" (wie ich ihn nennen mußte!) liegt darin, das der a n o n y m e  Professor Dr. X. die "außerordentlich schweren Anschuldigungen" des Dr. Brass für b e w i e s e n  ansieht und daraus (- "mit Widerstreben"! -) folgert: "Sie v e r n i c h t e n  nicht nur das Forscheransehen und die E h r e  eines bisher trotz mancher Entgleisungen in weiten Kreisen hochangesehenen Mannes, sonder sie würden geradzu einen "Schandfleck der Deutschen Wissenschaft" aufdecken" (!).

Die weiteren Ausführungen des anonymen "Tartüffe", die Berufung auf die Urteile der Deutschen Embryologen (- "um seiner und der Deutschen Wissenschaft Ehre willen" -) waren so perfide und jesuitisch, daß ich dadurch zu meiner Entgegnung vom 24. Dezember geradezu gezwungen wurde. Dazu trat nun noch folgendes Motiv. Die Redaktion der Münchener "Allgemeinen Zeitung" sandte mir aus Berlin (am 21. Dezember) den fraglichen "Tartüffe"-Artikel mit folgendem charakteristischen Begleitschreiben:

"Eurer Exzellenz gestatten wir uns die neueste Nummer der "Allgemeinen Zeitung" ergebenst zu übersenden, da sie eine Mitteilung enthält, die sich mit Arbeiten Eurer Exzellenz befaßt. wir möchten nicht verfehlen zu betonen, daß wir nur schweren Herzens diese Zuschrift aufgenommen haben, und auch nur darum, weil sie von einer Seite stammt, die ebensosehr hinsichtlich der wissenschaftlichen Sachkenntnis, wie der Loyalität der Gesinnung über jedem Zweifel erhaben dasteht. Da die erörterte Frage in wissenschaftlichen Kreisen anscheinend nicht zur Ruhe kommen will, möchten wir ergebenst anregen, ob nicht Eure Exzellenz sich mit den Vorwürfen in einem kurzen Artikel beschätigen möchten, für den wir natürlich die Allgmeine Zeitung gern zur Verfügung stellen, da die Entgegnung bei uns zu den einschlägigen Fachkreisen gelangen würde."

Jedem ehrlichen und unbefangenen Zuschauer dieses erbitterten Kampfes bleibt es überlassen, sich selbst ein Urteil über das f o l g e n s c h w e r e  Verfahren der Redaktion der Allgemeinen Zeitung zu bilden. Es sind aber folgende vier Punkte dabei ganz besonders zu berücksichtigen: 1. Die Redaktion der M. A. Z. b e t o n t , daß sie nur "schweren Herzens" die Zuschrift des a n o n y m e n  Professors X. aufgenommen habe, die nach dessen eigenen Worten "nicht nur das Forscheransehen und die Ehre eines in weiten Kreisen hoch angesehenen Mannes (E. H.) vernichtet, sondern auch geradezu einen S c h a n d f l e c k   d e r   d e u t s c h e n   W i s s e n s c h a f t  aufdeckt.". - 2. Die Redaktion der M. A. Z. nimmt diesen perfiden Artikel nur darum auf, weil er "von einer Seite stammt, die ebensosehr hinsichtlich der w i s s e n s c h a f t l i c h e n   S a c h k e n n t n i s  (!), wie der L o y a l i t ä t   d e r   G e s i n n u n g  über jeden Zweifel erhaben dasteht" (!). - 3. Die Redaktion der M. A. Z. "regt ergebenst an", ob ich mich nicht "mit den Vorwürfren in einem kurzen Artiekl beschäftigen möchte, für den sie natürlich die Allgemeine Zeitung gern zur Verfügung stellt". - 4. Die Redaktion der M. A. Z. legt mir (mit Schreiben vom 21. Dezember 1908) die Nr. 38 ihrer internationalen Wochenschift (- erschienen am 19. Dezember! -) am 22. Dezember auf den W e i h n a c h t s t i s c h  und sorgt dafür, daß der lügenhafte darin enthaltene Tartüffe-Artikel sofort durch eine Korrespondenz in alle Welt verbreitet wird. Schon in den nächsten Tagen (zur Feier des heidnischen " S o n n w e n d f e s t e s " !) hatte ich das Vergnügen, ihn in zahlreichen Blättern aller Richtungen abgedruckt zu sehen, mit kritischen Zutaten der merkwürdigsten Art - helle Schadenfreude bei meinen klerikalen und reaktionären Feinden, schmerzliches Bedauern bei meinen freidenkenden und liberalen Freunden. Es war sehr natürlich, daß ich von dem gütigen Anerbieten der l o y a l e n  Redaktion der M. A. Z., eine Entgegnung in ihre Wochenschrift (- also f r ü h e s t e n s  acht Tage später! -) aufzunehmen, keinen Gebrauch machte. Ich habe ihr überhaupt nicht geantwortet; sondern ich sandte meine Entgegnung am 24. Dezember an die Redaktion der Beliner "Volkszeitung", da deren Redakteur, Herr V o l l r a t h , mir seit langer Zeit bekannt und einer der w e n i g e n  liberalen Zeitungsleiter in Berlin ist, die sich um Verbreitung und Förderung der Entwicklungslehre verdient gemacht haben.

"Fälschungen der Wissenschaft." Die notgedrungene Verteidigung gegen das "Brass-Tartüffe-Konsortium", die ich am 24. Dezember 1908 unter obigem Titel in Nr. 607 der "Volkszeitung" veröffentlichte (abgedruckt in den "Dokumenten" von D r .   H e i n r i c h   S c h m i d t  S. 12), erscheint mir heute selbst unbefriedigend; ich habe sie nachträglich sehr bedauert. Ich war damals seit längerer Zeit sehr krank und zu ruhiger literarischer Diskussion unfähig. In der begreiflichen Empörung über den nichtswürdigen Artikel des Herrn "Tartüffe", und seine "loyale" Protektion durch die Redaktion der "Allgemeinen Zeitung", gedrängt durch zahlreiche indignierte Zuschriften von befreundeten Seiten, ließ ich mich zu heftigen Äußerungen tiefster Entrüstung hinreißen, die ich zu anderen Zeiten bei voller Gesundheit viel besser und treffender formuliert haben würde. Verhängnisvoll wurde mir besonders das i r o n i s c h e  "Reumütige Geständnis" (- Zeichnungen "gefälscht" zu haben! -), das viele flüchtige Leser unbegreiflicherweise für e r n s t  nahmen.

Der Sturz Haeckels. (Eine Abrechnung von H u g o   J ü n g s t , Leipzig 1910.) Zu den seltsamsten Figuren, welche dem Jesuitenbunde Gefolgschaft leisten, gehört ein "modernster Dichter", dem ich wenigstens einige Zeilen des Dankes widmen muß. Unter obigem Titel hat kürzlich Herr H u g o   J ü n g s t  ein Pamphlet von 20 Seiten herausgegeben, dessen Zweck lediglich sein soll: "Tausenden Gelegenheit zu geben sich an der Hand einer unverblümten Darstellung mit dem Fall Haeckel innerlich auseinanderzusetzen" (S. 20) "Ich bin kein Naturforscher in wissenschaftlichem Sinne. Aber ich bin ein treuer Anhänger Haeckels gewesen und habe ein Jahrzehnt hindurch im Banne der Unerschütterlichkeit seiner Lehren gestanden. Dieser Bann ist gebrochen!" - Warum? Einzig und allein, weil Herrn J ü n g s t  aus meiner Erklärung (vom 24. Dezember 1908) "Fälschungen der Wissenschaft" den sehr wunderbaren Schluß zieht, daß ich "nach langem Drehen und Wenden die F ä l s c h u n g  angeblich wissenschaftlicher Beweisstücke zugeben mußte". Herr J ü n g s t  hält also mein "Reumütiges Geständnis" (a. a. O.) für e r n s t , und sieht nicdht, daß es rein i r o n i s c h  ist - was aus dem ganzen Zusammenhang sich sofort ergibt und was jeder klar denkende Leser erkennen muß. Er erklärt zwar den ganzen "Embryonenkampf" für eine "allgemeine Kulturangelegenheit, an der die gesamte gebildete Welt in weitgehendstem Maße interessiert ist" (S. 1); er ist aber so wenig mit dessen Gang bekannt, daß er nicht einmal die vielbesprochene Leipziger Erklärung der 46 deutschen Professoren der Anatomie und Zoologie (vom Februar 1909) kennt, welche den Kampf - gegen Brass und den Keplerbund - zu meinen Gunsten entscheidet. Ganz naiv erklärt er (S. 14): "Eine Gegenerklärung der betroffenen Kreise ist mir bis heute (Juni 1910) nicht zu Gesicht gekommen." öbrigens geht aus dem ganzen Zusammenhang seines oberflächlichen Phrasenbündels klar hervor, daß es ihm besonders um den religiösen Kampf gegen "das öde Rechenexempel des Materialismus" (- d. h. "Monismus"! -) zu tun ist, nohc mehr aber um die R e k l a m e  seiner Gedichte: "Seelenakkorde und Flammenzeichen". Auf dem Umschlage des "Sturzes" werden sie von der "Berliner Antiquitäten-Rundschau" mit folgenden Worden angepriesen: "Wer die Flammenzeichen kauft um sechzig Pfennige, wird an Tausende edelsten Goldes reicher!" Warun sich Herr J ü n g s t  als "bisherigen Anhänger Haeckels" ausgibt, ist bei seiner g r ü n d l i c h e n   U n k e n n t n i s  meiner Schriften nicht ersichtlich. Die Jesuitenpresse hat aber diese unglaubliche und lächerliche Konversion sofort benutzt, um daraus gegen mich eine neue " V e r n i c h t u n g "  auszuklügeln.





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erstellt von Christoph Sommer am 13.12.1999