"Ernst Haeckel - Sandalion"

4. Kapitel

Jesuitenbund




Der mächtige Einfluß, den die Jesuiten seit drei Jahrhunderten auch in der Wissenschaft erlangten, ist besonders darauf zurückzuführen, daß sie frühzeitig die Philosophie des T h o m a s   v o n   A q u i n o  sich aneigneten, jenes großen Doctor angelicus, der um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts den Höhepunkt der Scholastik des Mittelalters bezeichnet (vom Papste heilig gesprochen 1323). Mit nachhaltigem Erfolge suchte dieser christliche Scholastiker die herrschende Philosophie des A r i s t o t e l e s  mit der orthodoxen Kirchenlehre zu verschmelzen. Als Schüler des A l b e r t u s   M a g n u s  bekennt er sich zwar im ganzen zu dessen Summa philosophiae naturalis, stellt aber darüber den Glauben an die Offenbarung, an solche übernatürliche Dogmen, welche durch die Vernunft nicht nachweisbar sind, z. B. die Dreieinigkeit Gottes. Der Thomismus lehrt auch, daß die Welt einen Anfang hatte und von Gott aus dem Nichts geschaffen wurde. Der Neothomismus, die erneuerte Thomas-Philosophie, hat in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen, besonders seitdem Papst L e o   X I I I .  sie zur Grundlage der katholischen Weltanschauung in allen Lehranstalten machte. Da diese nun seit der Enzyklika ganz von den Jesuiten beherrscht werden, erscheint es zweckmäßig, die Gesamtheit der katholischen Jesuitenbünde unter dem Begriff des T h o m a s b u n d e s  zusammenzufassen, im Gegensatz zu dem evangelischen Keplerbunde. Beide verfolgen das gleiche Ziel, die Verschmelzung der christlichen Glaubenslehren mit den Ergebnissen der modernen Wissenschaft; mit anderen Worten: die Unterordnung der letzteren unter die ersteren.

Zahlreiche katholische Vereine mit mehr oder minder abweichenden Färbungen können demnach zum Thomasbund im weiteren Sinne gerechnet werden, so der Bonifaziusverein, der Liguoribund (Redemptoristen), der Borromaeusverein, der Piusverein, die Leogesellschaft, die Goerresgesellschaft usw. Sie entfalten eine sehr eifrige Tätigkeit in der Presse und suchen sich namentlich der Lehren der modernen Naturwissenschaft zu bemächtigen, um sie für ihre Zwecke auszubeuten und möglichst unschädlich zu machen. Sehr gründlich hat der Jesuitenpater T i l m a n n - P e s c h  in einem starken zweibändigen Werke "Die großen Welträtsel (Philosophie der Natur) allen denkenken Naturfreunden dargeboten" (Freiburg i. B. 1907); so ist veröffentlicht mit Approbation des Erzbischofs T h o m a s  (!) von Freiburg i. B. und des deutschen Jesuitenpräfekten P. C. Schaeffer. Jetzt erscheint ein umfangreicher "Grundriß der Biologie" von dem Jesuiten H e r m a n n   M u c k e r m a n n  (Freiburg i. B.).

Erich Wasmann. Unter den zahlreichen gelehrten Jesuiten, welche gegenwärtig für den christlichen Offenbarungsglauben und gegen die monistische Naturphilosophie kämpfen, erscheint der Luxemburger Jesuitenpater E r i c h   W a s m a n n  (ein geborener Tiroler) als die bedeutendste Persönlichkeit. Er zeichnet sich ebenso durch ausgedehntes zoologisches Wissen, wie durch glänzende Beredsamkeit und bestechende Dialektik aus. In den letzten sechs Jahren ist er auch weiteren gebildeten Kreisen so bekannt geworden, daß wir ihn als den ausgesprochensten Typus dieser k a t h o l i s c h e n   N a t u r p h i l o s o p h i e  hier kurz besprechen müssen.

Als scharfsinniger und nachdenklicher Beobachter des Lebens und der Formen der Insekten, ganz besonders der Ameisen, hat sich Wasmann den Ruf eines kenntnisreichen E n t o m o l o g e n  erworben. Namentlich hat er eine Reihe vortrefflicher Beobachtungen über das Leben der Ameisen und der in ihren Wohnungen sich ständig aufhaltenden Ameisengäste gemacht; besonders kleiner Käfer, die durch Anpassung an dese besonderen Lebensbedingungen sehr eigentümlich umgebildet sind. Solche entomologische Spezialstudien, bald mehr systematischer und morphologischer Richtung, bald mehr bionomischer und physiologischer Art, sind sehr verdientlich. Allein die w i s s e n s c h a f t l i c h e  Zoologie der Neuzeit stellt an ihre Vertreter ganz andere Anforderungen; sie verlangt vieljährige gründliche Studien in vergleichender Anatomie und Ontogenie, in Paläontologie udn Physiologie. Für jene Zoologen, welche das interessanteste Gebiet der Tierkunde, die Wirbeltiere zu ihrem Spezialstudium wählen, ist ein gründliches Studium der M e d i z i n  unerläßlich; aus dem einfachen Grunde, weil der menschliche Organismus nach allen Richtungen hin uns viel genauer bekannt ist, als jedes andere Tier. Sobald W a s m a n n  sich auf dieses weite Gebiet begibt und den engeren Kreis seiner Entomologie verläßt, offenbaren sich erstaunliche Lücken seiner zoologischen Bildung. Es machte daher auf alle wissenschaftlichen Vertreter der Tierkunde einen wunderlichen Eindruck, als er neuerdings von der ultramontanen Presse als "der größte Zoologe der Gegenwart" gepriesen und hinzugefügt wurde: "Sein Name besitzt Weltruf, und glänzende Beredsamkeit, verbunden mit streng wissenschaftlicher Forscherarbeit, haben diesen Gelehrten zu einem der gefürchtetsten Gegner des Monismus gemacht" (Augsburger Postzeitung Nr. 263 vom 12. November 1908.

Durch diese Eigenschaften, verbunden mit fanatischem Religionseifer, hat W a s m a n n  im Thomasbund eine ähnliche Führerrolle gewonnen, wie  D e n n e r t  im Keplerbund. Beide sind unermüdlich und geschickt in der Agitation für die "Christliche Naturwissenschaft", beide gleich rücksichtslos in der Wahl ihrer Mittel, beide gleich unüberwindlich, wenn es gilt, ihren blinden Glauben durch logische Vernunftgründe zu widerlegen. Die wichtigste Schrift von W a s m a n n , welche die großen allgemeinen Probleme der heutigen Naturphilosophie, den Kampf um den Entwickelungsgedanken behandelt, erschien 1904 - ("am Ignatiusfeste"! - Vorwort S. II -); sie führt den Titel: "Die moderne Biologie und Entwickelungslehre" (Freiburg i. B., 723 S.). Da sie eine überraschende Anerkennung der letzteren (- freilich in echt jesuitischer Weise zurechtgestutzt! -) enthält, hatte ich sie in meinen Berliner Vorträgen (1905) eingehend kritisiert (L. 4). Zwei Jahre später erteilte W a s m a n n  seine Antwort auf diese in drei Vorträgen, welche er in Berlin über "Das Entwicklungsproblem" hielt (im Februar 1907). Diese Reden erlangten besonders dadurch ein weiteres Interesse, daß sich unmittelbar daran ein öffentlicher, wissenschaftlicher Kampf knüpfte, ein vierstündiger "Diskussionsabend im großen Restaurationssaale des Zoologischen Gartens" am 17. Februar 1907. In diesem Redekampfe sprachen gegen W a s m a n n  zwölf Redner (darunter mehrere sehr angesehene Naturforscher und Mediziner aus Berlin). Obwohl diese ihn gründlich widerlegten und der Jesuitenpater in sienen Gegenreden am Schluß (- ganz den Grundsätzen seines Ordens entsprechend -) nur mit sophistischen Ausflüchten und dialektischen Kunstgriffen antworten konnte, wurde doch von der gesamten ultramontanen Presse seine offenkundige Niederlage als ein glänzender Sieg gefeiert. Professor L u d w i g   P l a t e  hat in einer besonderen Schrift den Gang dieses Kampfes zwischen Kirche und Wissenschaft ausführlich geschildert;10 erkommt (S. 141) zu folgendem Ergebnis: "Der Diskussionsabend hat erstens gezeigt, daß echte Naturforschung auf dem Boden der ultramontanen Kirche ausgeschlossen ist; zweitens ist der grelle unversöhnliche Gegensatz zwischen naturwissenschaftlicher und orthodoxchristlicher Weltanschauung scharf zutage getreten; und drittens hat sich gezeigt, daß auch die Naturforscher sich der Grenze ihres Erkennens wohl bewußt sind, und daß es letzte Fragen gibt, auf die man keine Antwort erteilen kann, es sei denn eine solche des Glaubens". Diesem treffenden Urteil ist nun noch folgendes hinzuzufügen: Alle Einwände, welche die voraussetzungslose Naturwissenschaft gegen die mystische, im Dogma der christlichen Kirche befangene Fälschung der Entwicklungslehre durch E r i c h   W a s m a n n  (als Types des "Thomasbundes") erhebt, gelten in gleichem Maße für dieselbe sophistische Entstellung der Genetik durch E b e r h a r d   D e n n e r t  (als Gründer des "Keplerbundes").

W a s m a n n  hat zwei Jahre später seine vergebichen Versuche, die "katholische Naturwissenschaft" zu retten und damit den Monismus zu vernichten, in Innsbruck wiederholt (am 14., 16. und 18. Oktober 1909). Die drei dort gehaltenen Vorträge (- von der ultramontanen Presse als große Siege des alleinseligmachenden Glaubens gefeiert! -) geben im wesentlischen den Inhalt der Berliner Vorträge wieder und unterscheiden sich nur dadurch, daß sie noch stärkere Angriffe gegen mich persönlich und gegen meine Anthropogenie und den Monismus enthalten. Auf diese Angriffe im einzelnen einzugehen, würde nutzlos sein; denn mit der aalgratten, schlangenähnlich sich windenden S o p h i s t i k  der Jesuiten wird ein ehrlicher Wahrheitsforscher niemals fertig, gleichviel ob sie die schwarze Mönchskutte des katholischen Thomasbundes oder den schwarzen Talar des evangelischen Keplerbundes trägt.





Kapitel 3..........................................................................................Kapitel 5



zurück zum Inhaltsverzeichnis




Diese Seite ist Teil von Kurt Stübers online library
erstellt von Christoph Sommer am 13.12.1999