"Ernst Haeckel - Sandalion"

2. Kapitel




Der große " K a m p f   u m   d i e   W a h r h e i t " , der seit Jahrtausenden von den denkenden, nach Erkenntnis strebenden Menschen geführt wird, zeigt uns seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einen anderen Charakter als in allen früheren Zeiten. Wenn schon im achtzehnten Jahrhundert der freie Geist der A u f k l ä r u n g  durch eine große Zahl der bedeutendsten Denken mächtig gefördert wurde, hat er doch erst im neunzehnten, im "Jahrhundert der Naturwissenschaft", die h e r r s c h e n d e  Stellung errungen, welche die vorhergehenden Bildungsepochen nicht ahnen konnten.

Die bewunderungswürdigen Fortschritte der N a t u r e r k e n n t n i s  mußten notwendigerweise den tiefgreifendsten Einfluß auf die gesamte Waltanschauung der denkenden Menschheit ausüben. Schärfer und allgemeiner als je zuvor hat sich der prinzipielle Gegensatz ausgeprägt zwischen den klaren Vernunftsätzen der reinen W i s s e n s c h a f t  und den nebelhaften Phantasiegebilden der bunten G l a u b e n s d i c h t u n g . Einerseits haben uns die Erfahrungen und Versuche der modernen Naturwissenschaft zu der festen öberzeugung geführt, daß der ganze Weltprozeß nach "ewigen, ehernen, großen Gesetzen" verläuft, die in der Natur der Dinge selbst begründet sind; und daß der höchste Begriff: "Gott" in diesen selbst liegt. Anderseits behaupten dagegen die Anhänger des traditionellen Kirchenglaubens, daß ein persönlicher Gott die Welt erschaffen habe und regiere, daß er die Naturgesetze erfunden habe, nach denen sich die Entwickelung der Welt gestaltet. Im Mittelpunkte dieses weltbewegenden Geisteskampfes steht seit einem halben Jahrhundert unsere moderne E n t w i c k e l u n g s l e h r e , zu deren Ausbau 1859 C h a r l e s   D a r w i n  den Anstoß gab. Er füllte durch seinen geniale Selektionstheorie (- den "Darwinismus" im engeren Sinne -) die empfindliche Lücke aus, welche fünfzig Jahre früher sein großer Vorgänger J e a n   L a m a r c k  beim Aufbau der Deszendenztheorie offen gelassen hatte. Die ausnahmlose Gültigkeit natürlicher Entwickelungsgesetze, wie sie dreißig Jahre früher in der Erdgeschichte für die anorganische Natur erkannt worden war, wurde nun auch auf das ganze Gebiet der organischen Natur (- an ihrer Spitze den Menschen -) ausgedehnt. Damit wurden zugleich die alten, ehrwürdigen, seit Jahrtausenden durch mystische Religionsdichtungen befestigten Vorstellungen von einer ü b e r n a t ü r l i c h e n  Schöpfung der Lebensformen zerstört. An die Stelle des außerweltlichen Schöpfers, des " p e r s ö n l i c h e n   G o t t e s "  (Ontheos) trat jetzt das monistische Bild des innerweltlichen Allgottes - der " G o t t - N a t u r "  (Pantheos), wie sie schon W o l f g a n g   G o e t h e  in wundervollen Dichtungen verherrlicht hatte (L. 1).

Frühzeitig begriff die streitbare Kirche die drohende Gefahr, welche ihren Herrschaftsgelüsten über die Geister durch diese monistische Entwickelungslehre bereitet wurde. Sie eröffnete auf allen Linien einen energischen Kampf gegen den Darwinismus, und dieser Kampf nahm während des letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts im Geisteslebgen weitester Kreise einen großen Raum ein. Aber schon am Schlusse desselben (1899) konnte ich in meinem Buche über die "Welträtsel" feststellen, daß der Sieg des monistischen Entwickelungsgedankens und die Niederlage der dualistischen Schöpfungslehre in allen Gebieten der modernen Naturphilosophie vollkommen sei.

Nunmehr hielt es die unterlegene Ecclesia militans - und die mit ihr verbündete dualistische Schulphilosophie - im Beginne des zwanzigsten Jahrhunderts für geraten, ihre Fahne zu wechseln und die Firma der siegreichen Entwickelungslehre für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Eine außerordentlich lebhagte Agitation entfalteten in dieser Richtung die J e s u i t e n , die ja seit Jahrhunderten mit größtem Erfolge die Kunst der F ä l s c h u n g   d e r   W a h r h e i t  geübt hatten. Einerseits bemühten sich die verschiedenen Schulen der k a t h o l i s c h e n  Jesuiten, die wir unter der gemeinsamen Bezeichnung des T h o m a s b u n d e s  zusammenfassen, die scholastische Philosophie des heiligen T h o m a s   v o n   A q u i n o  neu zu beleben. Anderseits wetteifern mit ihnen die orthodoxen Schulen der e v a n g e l i s c h e n  Jesuiten, die im K e p l e r b u n d e  zusammentraten und den Namen des großen Astronomen J o h a n n e s   K e p l e r  zur Verschleierung ihrer wahren Ziele mißbrauchten.

Das gemeinsame Ziel dieser beiden christlichen Bünde, die trotz aller konfessionellen Gegensätze in einem großartigen J e s u i t e n b u n d  sich t a t s ä c h l i c h  die Hände reichen, bleibt die Unterwerfung der vernunftgemäßen Wissenschaft unter die traditionellen Dogmen der christlichen Glaubenslehre. Sie glauben jetzt dieses Ziel am sichersten zu erreichen, indem sie die Harmonie der beiden widersprechenden Weltanschauungen predigen, die "Schöpfung durch Entwickelung"; als zweckdienliches Mittel dazu erscheint ihnen die Vernichtung des 1905 gegründeten M o n i s t e n b u n d e n , der die Verbreitung und den Ausbau der einheitlichen natürlichen Weltanschauung sich zur Aufgabe gestellt hat.

Während der Jesuitenbund beider christlichen Konfessionen in der eifrigen Verfolgung dieses Zieles die bewährten Trugkünste des Jesuitismus ungescheut ausübt und die gefährlichsten Fälschungen der Wissenschaft begeht, hat er in echt jesuitischer Taktik zu deren Verdeckung den Vorwurf gewissenloser Fälschung gegen die Vertreter des Monismus selbst und ganz besonders gegen mich erhoben. Er hütet sich aber wohl, die großen allegemeinen Gegensätze klar gegenüberzustellen, und richtet statt dessen seine Angriffe gegen einzelne Mängel meiner Darstellung; bald gegen einzelne Lehrsätze und gewagte Hypothesen, bald gegen mangelhaft ausgeführte oder schematisch konstruierte Bilder, die zur Illustration meiner popularen Schriften dienen.

Die Fälschung der öffentlichen Meinung, die der Jesuitenbund dabei ausübte, und die schmachvollen damit verknüpften Angriffe auf meine Person und meine Lehre riefen in den letzten drei Jahren zahlreiche Entgegnungen aus monistischen sowohl als aus neutralen wissenschaftlichen Kreisen hervor. Die wichtigste davon war die L e i p z i g e r   D e k l a r a t i o n , in der (Mitte Februar 1908) 46 der angesehendsten Deutschen, ôsterreicher und Schweizer Biologen für mich eintraten und den Kampf des Keplerbundes gegen mich " a u f   d a s   s c h ä f t s t e   v e r u r t e i l t e n " . (Vgl. unten Anhang, S. 51.) Danach könnte dieser widerwärtige Kampf für erledigt gelten; leider bin ich aber gezwungen, in dieser Schrift noch einmal das Wort zu ergreifen. In unglaublicher Weise haben die wortführenden Jesuiten des Thomasbundes und des Keplerbundes neuerdings versucht, die wirkliche Sachlage durch n e u e   F ä l s c h u n g e n  zu trüben und die sonnenklare Wahrheit zu entstellen. Vor 300 Jahren zündete die Christliche Kirche (- die "Religion der Liebe" vertretend! -) die Scheiterhaufen an und verbrannte die gefolterten freidenkenden Ketzer lebendig. Da ihr heute der Kulturstaat dazu nicht mehr die dienstwillige Hand reicht, verfolgt sie die verhaßten Freidenker mit anderen Mitteln, klagt sie der "Fälschung der Wissenschaft" an und schneidet ihnen in der öffentlichen Meinung die Ehre ab. Wenn ich diesen Jesuiten im "Kampf um die Wahrheit" noch einmal entgegentrete, so geschieht dies nicht sowohl, um meine persönliche, von ihnen so scharf angegriffene Ehre zu verteidigen, als vielmehr in der Absicht, die von ihnen getrübte Sachlage zu klären und das Recht der f r e i e n   W i s s e n s c h a f t   u n d   L e h r e  gegenüber den hierarchischen Anmaßungen der herrschsüchtigen Kirchenmacht zu wahren.





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erstellt von Christoph Sommer am 13.12.1999