"Ernst Haeckel - Sandalion"

1. Kapitel




Ernst Haeckel

Sandalion

Eine offene Antwort auf die Fälschungs-Anklagen der Jesuiten

1.-5. Tausend

Frankfurt a. M. 1910

Neuer Frankfurter Verlag G. m. b. H.

"Ja was man so Erkennen heißt!
Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
Die Wenigen, die was davon erkannt,
Die töricht genug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt."

G o e t h e 



Inhalt:

Drei Vorträge über den " K a m p f   u m   d e n   E n t w i c k e l u n g s g e d a n k e n " , welche ich im April 1905 zu Berlin gehalten habe, gaben die Veranlassung zu vielen und heftigen Angriffen der Gegner einer freien, von mystischen Glaubenlehren unabhängigen Weltanschauung. Vielfach richteten sich diese Angriffe nicht sowohl gegen die Kernfragen unserer modernen Entwickelungslehre, als gegen meine Person, als Verfasser der vielgeschähten " W e l t r ä t s e l " , in denen ich diese großen Probleme vom Standpunkte der monistischen Philosophie umfassend behandelt hatte. Um diese herabzusetzen, wurden meine Arbeiten überhaupt als wertlose und irreführende Dilettanten-Machwerke verworfen; besonders aber wurde mit Erfolg der Versuch gemacht, meine embryologischen Darstellungen und die sie erläuternden Abbildungen als verwerfliche " F ä l s c h u n g e n   d e r   W i s s e n s c h a f t "  zu brandmarken. Als willkommene Scheinbeweise dienten dabei meinen Gegnern besonders die schematisierten Figuren von jungen Embryonen des Menschen und anderer Wirbeltiere, die ich zum Vergleiche ihrer Ähnlichkeit in mehreren Schriften nebeneinander gestellt hatte: zuerst in der "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (1868), dann in der "Anthropogenie" (1874) und endlich in den Vortrag über "Das Menschenproblem und die Herrentiere von Linné" (1907).

Diese Objekte, die E m b r y o n e n   d e r   W i r b e l t i e r e , und besonders der Säugetiere, gehören zu den wichtigsten Beweismitteln unserer Stammesgeschichte. Denn sie lehren, unterstützt durch die Erkenntnisse der vergleichenden Anatomie und der Paläontologie, für jeden unbefangenen Beobachter unmittelbar unsere nahe Stammverwandtschaft mit den anderen Säugetieren. Aber leider liegt dieses geheimnisvolle Gebiet der vergleichenden Keimesgeschichte unserem gewohnten Bildungskreise sehr fern und erfordert neben eingehendem Studium auch gründliche morphologische Vorbildung und kritische Schulung des Urteils. Darauf gestützt versuchten die Gegner der Entwickelungslehre hier den Hebel zu ihrer Widerlegung einzusetzen; sie klagten mich in der schärfsten Wiese der Fälschung des Betruges an, weil ich die angewandten Embryonenbilder s c h e m a t i s i e r t , d. h. unwesentliche Beigaben weggelassen und wesentliche Formverhältnisse scharf hervorgehoben, auch einzelne Beobachtungslücken durch vergleichende Synthese ergänzt hatte.

Die weite Verbreitung, welche diese jesuitischen Angriffe meiner Gegner neuerdings gefunden haben, zwingt mich jetzt, nochmals zu ihrer Beleuchtung und Entkräftung auf die angeblichen "Fälschungen" einzugehen. An einem konkreten, besonders wichtigen Beispiele, dem hochinteressanten S a n d a l i o n , werde ich zeigen, in wie verwerflicher Weise die J e s u i t e n  ihrerseits die Wahrheit gefälscht haben. Eine nähere Analyse der einzelnen sogenannten "Embryonenfälschungen" und des verwickelten, daran geknüpften Kampfes kann ich mir ersparen, da mein früherer Assistent, D r .   H e i n r i c h   S c h m i d t  (Jena) sie bereits gründlich und wahrheitsgemäß beleuchtet hat in seiner Schrift: "Haeckels Embryonenbilder, Dokumente zum Kampf um die Weltanschauung in der Gegenwart" (mit zahlreichen Abbildungen, 91 Seiten, Preis 1 M, Frankfurt a. A. 1909). Diese wertvolle Abhandlung zeichnet sich e benso durch umfassende Sachkenntnis, wie durch klares philosophisches Urteil aus; es sind darin auch aktenmäßig die Quellen angeführt (und zum Teil wörtlich wiedergegeben), welche von beiden streitenden Parteien verwertet und gegenübergestellt worden sind. Wichtig ist insbesondere das kritische Schlußwort (S. 79). Der Verfasser hat hier "scharf, prinzipiell und ohne jedes unnötige Beiwerk das Fazit aus dem Kampfe gezogen, der wie ein spannendes Schauspiel vor unseren Augen vorbeigezogen ist". Seine 22 Schlußsätze, welche die wesentlichen Gegensätze klar beleuchten, setzen jeden ubefangenen Leser in den Stand, sich selbst ein richtiges Urteil zu bilden. (Im folgenden Text ist diese wichtige Schift kurz zitiert (H. S. Domumente.)

Unter den zahlreichen Aufsätzen, welche sich außer den dort angeführten Publikationen mit diesem Kampfe befaßt haben, sind namentlich diejenigen hervorzuheben, welche in den vier Jahrgängen des " M o n i s m u s "  erschienen sind ("Zeitschrift für einheitliche Weltanschauung und Kultorpolitik, Blätter des Deutschen Monistenbundes"); sowie in der " N e u e n   W e l t a n s c h a u u n g "  (Monatsschrift für Kulturfortschritt auf naturwissenschaftlicher Grundlage, redigiert von D r .   W i l h e l m   B r e i t e n b a c h , Leipzig); - ferner in der "Frankfurter Halbmonatsschrift für Fortschritt auf allen Gebieten des geistigen Lebens: D a s   F r e i e   W o r t  (Neuer Frankfurter Verlag).

J e n a , 10.November 1910.

Ernst Haeckel





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erstellt von Christoph Sommer am 13.12.1999