Italienfahrt - Ernst Haeckel

Messina, 2. 3. 1860

Brief Nr. 67

. . . Ich denke, Du wirst mit meinem Plan, über Paris zurückzugehen, einverstanden sein, meine liebste Änni, und die Gründe, die ich dem Alten beiliegend dafür angeführt habe, verstehen und billigen. Rede ihm also zu, daß er es mir erlaubt, was er um so eher kann, als aus dem schönen Plan, mit Allmers nach Algerien zu reisen, aus absolutem Mangel an Fahrgelegenheit nichts geworden ist. Du bist so vernünftig, um nicht einzusehen, welche außerordentliche Bereicherung meiner Kenntnisse und Weltanschauungen mir die paar Wochen in der Weltstadt gewähren werden; haben wir unsere unbändigen Herzen 13 Monate so tapfer bezwungen, so wird es auch wohl noch 2-3 Wochen länger gehen. Ich denke am 1. April hier abzufahren. In der letzten Aprilwoche kehrt der lose Zugvogel sicher in seinen kleinen Käfig zurück. Könntī er sich nur auch bald sein eigenes Nestchen da bauen! . . .

Was Du mir über unsre traurigen politischen Zustände schreibst, hat mich sehr interessiert resp. empört. Hier sieht es auch sehr bunt aus und wird wohl nächstens mit einem zweiten Sizilischen Vesper gegen die Neapolitaner enden. Wenigstens weden täglich so viel verhaftet, daß bald mein Raum zur Aufnahme all der Eingekerkerten mehr vorhanden ist. Vorige Woche erschienen deshalb auch zwei neapolitanische Fregatten, um die Stadt durch allabendliche Schießübungen mit doppelter Ladung gehörig in Respekt zu erhalten. "Aus Versehen" warf dabei auch das eine Kriegsschiff einmal eine volle Granate, welche in einer Straße hinter der Palazzate platzte, ein großes Stück Pflaster aufriß und ein großes, neues Haus stark beschädigte, glücklicherweise aber keinen Menschen. Zum Dank dafür wurde dann in der folgenden Nacht auf den Polizeidirektor eine Handgranate geworfen, welche ihn und vier Sbirren stark verletzte. Noch schlimmer ging es dem obersten Gerichtspräsidenten, welcher vorgestern abend durch drei Messerstiche dergestalt verwundet wurde, daß er wohl dieser Tage seine verhaßte Seele zur Hölle hinabsenden wird. Einen andern Polizeispion sah ich selbst am Sonntag nachmittag um 5 Uhr erstechen, als ich von einem kleinen Spaziergang durch die Strada Austria zurückkam. Der Mörder entschlüpfte ganz ungehindert, wie das gewöhnlich bei all diesen politischen Morden geschieht, trotzdem die Straße voll Menschen war. Für Ausländer hat das alles nichts zu sagen, da diese sich bis jetzt ganz neutral verhalten haben. Aber die Neapolitaner sind jetzt schlimm dran . . .


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Diese Seite wurde erstellt am 9. August 1999