Italienfahrt - Ernst Haeckel

13. 9. 1859

Brief Nr. 45

Übersicht
der fünfwöchentlichen Reise durch Sizilien, mit Hermann Allmers.

Dienstag, 13. 9. 1859. Abends um 6 Uhr fuhren wir auf dem kleinen schnellen Dampfer "Archimedes" nach Palermo ab. Sehr stürmische See. Köstliche Vollmondnacht, die fast ganz wachend, auf dem Verdeck liegend, verbracht.

Mittwoch, 14. 9. Meines herzliebsten Schatzes Geburtstag, den ich auf die herrlichste Weise anbrach, indem ich zum erstenmal die Sonne im vollsten Prachtglanze aus dem Meer aufsteigen seh. Zugleich ringsum Anblick der herrlichen Küste, vielleicht der schönsten von Europa, das prächtige Palermo mit seiner Umgebung, dem Kap Zafferana und dem Monte Pellegrino, dem schönsten Berg der Erde (nach des größten Ästhetikers Vischer, Urteil), den wir am Nachmittag bestiegen. Vormittag die höchst interessante Normannenburg König Rogers gesehen. Am Abend sehr wehmütige Geburtstagsfeier.

14.-24. 9. Elf höchst genußreiche Tage in dem herrlichen Palermo verlebt, das meine hochgespannten Erwartungen zum Teil noch übertroffen hat; reich an den schönsten Kunst- und Naturgenüssen. Glanzpunkte und Sterne erster Größe: der Tropengarten der Fürstin Butera, der Monte Pellegrino mit der Conca d´oro, der normannische Prachtdom von Monreale, in seiner Art das Höchste (von jeher der Sehnsuchtsgipfel von Allmers´ Wünschen).

Samstag, 24. 9. Abends mit Kurier über Realcasa in 20 Stunden nach Girgenti gefahren, mitten durch die Insel hindurch, außerordentlich wüste und öde, zum Teil sehr langweilige, nur als kahlen Hügelmassen bestehende Gegenden, Schwefelminen in Masse, das einzig Ausgezeichnete und Interessante.

Sonntag, 25. 9. Nachmittag 4 Uhr in Girgenti angekommen. Die moderne Stadt hoch auf dem Berg, entfernt von der alten, liegend.

Montag, 26. bis Mittwoch, 28. 9. Drei sehr reiche, interessante, seltsame Tage in Girgenti, an der Südküste, die sehr wild und öde ist. Fast nur in den kolossalen, herrlichen Tempeltrümmern des alten Agrigentum umhergestrichen. Mittwoch, 28. 9. Abends mit Kurier nach S. Caterina, im Innern Siziliens, fast ganz in dem Mittelpunkt des Dreiecks gelegen, gefahren (über Caltanisetta). 29ten mittags in S. Caterina angekommen und bis zum andern Mittag in den außerordentlich wüsten und öden, ganz nackten Gebirgen umhergestiegen. Sehr hoher Punkt mit weiten Aussichten. Erster voller Prachtanblick des Ätna, wunderherrlich.

Samstag, 1. 10. 1859. Um Mitternacht von Caltanisetta aufgebrochen und fast ohne Unterbrechung (nur eine halbe Stunde Rast früh 9 Uhr) in 14 Stunden nach Caltagirone geritten, wo wir um 2 Uhr mittag ankamen. Die wüsteste, ödeste Gegend, die ich je gesehen, fast keine Häuser, kein Dorf auf der ganzen langen Strecke. Meist unkultivierte nackte Berge mit Steingeröll, zum Teil mit Stoppelfeldern, zum Teil sehr langweilig. Erster Teil der Nacht empfindlich kalt, Temperatur wohl um mehr als 20o von der des folgenden Mittags differierend. Mehrere Flüsse durchritten, die jetzt fast versiegt waren.

Sonntag, 2. 10. Merkwürdiger Tag in dem seltsamen Caltagirone, einer riesigen Stadt von 28000 Einwohnern, aber ohne allen Verkehr mit den andern Orten und der Küste, ohne alle verbindende Straße. Daher mehr als 50 Jahre in der modernen Kultur zurück. Wir zwei "forestieri" so große Seltenheit, daß uns neugierige Massen in dichten Haufen überallhin folgten.

Montag, 3. 10. Um 1 Uhr nachts von Caltagirone (wieder auf zwei Maultieren) ausgeritten und wieder fast 14 Stunden ununterbrochen im Sattel, bis Palzzuolo (unterhalb des 37o nördl. Breite!), das wir um 4 Uhr nachmittags errechten. Früh eine Stunde Rast in Vizzini. Gegend viel wilder und großartiger als bei dem vorigen Ritt, stellenweis subalpin. Auch mehr malerische Landschaft. In Palazzuolo in ein solches Spelunkennest geraten, daß wir noch am selbigen Abend 10 Uhr (mit Hilfe der Polizei, der mein roter Paß höchst imponierte!) weiterfuhren in einem zweirädrigen Ackerkarren die ganze Nacht durch nach Syrakus wo wir am 4. 10. früh 6 Uhr halb gerädert ankamen.

4. - 10. 10. Sechs herrliche Tage in Syrakus, reich an interessanten Naturgenüssen und historischen Kunsterinnerungen. Hauptpunkte: der Fluß Anapus und die Quelle Cyane, der einzige Ort Europas, wo der Papyrus der Alten wild wächst. Sehr merkwürdige, südliche Marschenformation. Die Latomien, die berühmten Steinbrüche der Alten, sehr malerisch von Grün durchwuchert. Das herrliche Theater und die Reste der alten Stadt.

Montag, 10. 10. Mitag 10-4 Uhr mit Dampfer "Diligente" nach Catanea gefahren und nachmittags zur Ätnareise gerüstet.

Dienstag, 11. 10. Früh nach Nicolosi heraufgestiegen, wo wir Maultiere und Führer nahmen zur Ätnabesteigung, die um 4 Uhr nachmittags begann. Früh drohte das bisher sehr heitere und köstliche Wetter zum erstenmal in Regen umzuschlagen, so daß große Bange eines schlechten Erfolges uns ängstigte. Doch klärte sich das Wetter abends wieder auf, so daß wir die ganze Nacht hindurch einen herrlichen Ritt bei Vollmondschein hatten. Um 1. Uhr nachts langten wir, vor Frost halb erstarrt (trotz doppelter Kleider) in der Casa Inglese an, dem höchsten Zufluchtsort, einer öden Steinhütte, mehr als 9000 Fuß ü. M.

Mittwoch, 12. 10. Von 1-4 Uhr nachts in der Casa Inglese teilss gefroren, teils halb geschlafen, Schnee und Rum gegessen. Um 4 1/2 Uhr aufgebrochen und den Aschenkegel bis zum Kraterrand, den wir um 5 1/2 Uhr erreichten, erstiegen. Herrlicher Sonnenaufgang aus dem Meer. Riesiger Ätnaschatten, die ganze Insel bis zum Westmeer überdeckend. Wundervolle Aussicht, die ganze Insel wie eine Landkarte zu Füßen. Gegen den ausdrücklichen Willen des Führers setzte ich durch, den weiten Krater rings zu umwandern und den letzten höchsten Gipfel, 10128 Fuß ü. M., der seiit dem Einsturz des großen Kraters im Jahre 1857 nur höchst selten erstiegen wurde, zu erklimmen, und wurde für meine Mühe durch überaus interessante und herrliche An- und Aussichten belohnt, besonders den grandiosesten Einblick in den tiefsten Kraterschlund. Kostbarer Blick nach Norden und Beobachtung meines Schattenbildes auf den Dampfwolken von der noch sehr niedrig stehenden Sonne gezeichnet, ganz analog dem berühmten Brockengespenst. Erst um 7 1/2 Uhr treten wir, von der eisigen Tramontana fast erstarrt, den Rückweg an, höchst glücklich und zufrieden über den glücklichen Ausgang dieser letzten und größten Exkursion, von der wir nicht umsonst so viel gehofft. Um 9 Uhr morgens ritten wir von der Casa Inglese weg und waren um 3 Uhr nachmittags glücklich wieder in Nicolosi, wo wir am 13. 10. früh noch die Monti rossi bestiegen und mittags nach Catanea herabgingen, wo wir die mitgebrachten Naturaliensammlungen, eine Masse Pflanzen und Laven, verpackten.

Freitag, 14. 10. Wundervolle Fahrt von Catanea nach Taormina, längs der Meeresküste, immer über Lava hin.

Samstag, 15. 10. Letzter, an malerischen Genüssen überreicher Tag der Freude mit dem lieben Allmers in Taormina, von vielen, nicht mit Unrecht, als der schönste Bergort Europas gepriesen.

Sonntag, 16. 10. Fahrt im Wagen längs der Küste von Taormina, nach Messina, wo wir 6 Uhr abends sehr glücklich und wohl befriedigt anlangten . . .


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