Italienfahrt - Ernst Haeckel

Capri, 7. 8. 1859

Brief Nr. 37

. . . Gestern mittag waren wir bei der schönsten Beleuchtung in der Blauen Grotte, wo ich zum zweitenmals das köstlichste, wunderbarste Bad nahm und meinem Freunde das schöne Bild eines unter Wasser himmelblau glänzenden Menschen zeigte. Abends genossen wir vom Palast des Tiberius, auf der höchsten Ostspitze der Insel, den schönsten Sonnenuntergang ins Meer, unter der merkwürdigsten Form und Farbe. Heute vormittag bestiegen wir den höchsten Berg der Insel, den Monte Solaro, von wo wir einen schönen Überblick des ganzen Wundereilandes und eine prächtige Aussicht auf den Golf von Neapel und Salerno und auf die Inseln genossen. Heute abend machten wir einen köstlichen Spaziergang nach den höchst malerisch geformten nahen Felspartien des Arco naturale und der Grotta Mitromania nach dem Kap Campanella zu. Dann lagen wir beim köstlichsten Mondschein, der sich wunderbar wie ein goldnes Vlies in dem unendlichen Meer an der Südküste spiegelte, wohl 1 1/2 Stunden lang auf dem vorspringenden, hohen Felsen unter dem Castiglione und schwärmten vom lieben Norden.

Da fällt mir eben ein, daß ich Dir den Grund noch gar nicht geschrieben, der mich, nächst dem Heimweg, hier in den ersten Tagen so sehr verstimmt hat; es war das gänzliche Mißlingen meiner schönen zoologischen Hoffnungen, besonders auf die pelagische Fischerei, die mich gänzlich im Stich gelassen hat; von allen erwarteten schönen Tierchen habe ich gar nichts gefunden, woran jedenfalls nur die sehr ungünstige Jahreszeit mit ihrer glühenden Hitze schuld ist, welche die zarten, empfindsamen Wesen in die Tiefe und nach Norden treibt. Ich werde nun in den nächsten Tagen noch einige Versuche machen, und wenn diese mißlingen, habge ich Mikroskope, Instrumente und Bücher umsonst hergeschleppt. Ich werde dann die noch für Capri übrigen 2-3 Wochen auf Zeichnen und Malen verwenden, wofür allerdings hier überall das reichste, schönste Material in Masse geboten wird und die größte Versuchung zum Künstlerdilettieren gegeben ist. In den letzten Wochen, wo ich mit dem praktischen Allmers, der in der Natur eigentlich ganz Künstler ist, ein völliges Künstlerleben in seiner reizenden wilden Romantik kennengelernt habe, ist meine große Lust zum Landschaftsmalen so bedeutend gewachsen, daß, wenn mein Talent der Neigung entspräche, ich in größte Versuchung geraten würde, den Naturforscher zugunsten des Landschaftsmalers aufzustecken, zumal dieser Zweig der Kunst eigentlich auch nur ein Stückchen Naturforscherei ist. - Ernst ist die Wissenschaft und heiter die Kunst! O glückliche Landschaftsmaler! - Doch es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und also werde ich wohl ruhig als mikrokopsicher und mikroskopierender Wurm auf dem rauhen und mühsamen Steinboden zoologisch-anatomischer Spezialforschung weiter kriechen, statt als glücklicher, freier Künstlervogel mich auf den weichen Zweigen des Phantasiebaumes zu wiegen und nach Herzenslust im freien Ätherraum hin und her zu irrlichterieren. Mit Dir, bester Schatz, werde ich ja auch in ersterer Funktion hoffentlich ganz glücklich werden . . .


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Diese Seite wurde erstellt am 22. Juni 1999