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Kapitel XVIII

Am Ende der Welt

Die ausgedehnte und unbewohnte Hochebene, welche sich von Nurellia südwärts bis gegen den Rand den großen Central- Plateau´s von Ceylon ausdehnt, und an deren nördlicher Grenze der Hakgalla-Garten als vorgeschobener Posten ganz isolirt liegt, führt ihrem Entdecker, Lord Horton zu Ehren, den Namen  H o r t o n -  P l a i n ´ s . Der größte Theil derselben ist noch heute mit Urwald bedeckt, abwechselnd mit trochenen oder sumpfigen Grasflächen, den sogenannten  P a t n a s . Die Beherrscher dieser Wildnissse sind Leoparden, Bären und wilde Elephanten. Der wellenförmige Rücken des Plateau´s wird von zahlreichen Bächen durchschnitten, zwischen denen sich flach gewölbte Hügel erheben, hier und da auch einzelne höhere Berge, von 7000 bis 8000 Fuß Meereshöhe. Am südlichen Rande fällt das Plateau fast überall äußerst steil ab und der wildeste Theil dieses schroffen Absturzes führt den charakteristischen Namen „World´s End", das Ende der Welt. Gegen 5000 Fuß hoch fallen die jähen Felswände hier anscheinend senkrecht hinab und gewähren einen wunderbaren Blick in die üppigen Thäler des südlichen Tieflandes, die sich unmittelbar zu ihren Füßen ausdehnen. Dieser merkwürdige Ort ist als der wildeste Theil der ganzen Insel berühmt, wird aber nur selten von Europäern besucht. Nicht weit von diesem romantischen Punkte liegt, mitten in der einsamen Wildniß, eine unbewohnte dickwandige Steinhütte, welche die Regierung als Zufluchtsort für durchreisende Beamte hat errichten lassen: „Horton Plain´s Resthouse". In dieser Hütte beabsichtigte ich mit Dr. Trimen eine Woche zu bleiben und von da aus Excursionen in die wilde, auch von Letzterem noch nie besuchte Umgegend anzustellen. Alle Vorbereitungen waren getroffen, der Schlüssel des Rasthauses und die Erlaubniß des Gouverneurs in unseren Händen, und so brachen wir denn wohlgemuth und voller Erwartung am frühen Morgen des 20. Februar von Hakgalla auf. Da wir nicht allein den nöthigen Proviant für acht Tage, sondern auch Betten, Decken, Zelte, Waffen u. s. w., sowie eine Menge Apparate und Gefäße zum Sammeln von Pflanzen und Thieren mit uns zu nehmen hatten, so brauchten wir für den Transprot dieser Dinge nicht weniger als zwanzig Träger. Außerdem hatte ein Jeder von uns Beiden noch seinen besonderen Diener und Dr. Trimen mehrere Leute aus dem Peradenia-Garten zum Sammeln und Präpariren von Pflanzen bei sich. Diese letzteren waren braune Singhalesen, die übrigen meistens schwarze Malabaren oder „Tamil-Kuli´s". Mit Einschluß eines Kochs und eines Führers belief sich unsere Gesellschaft auf nicht weniger als dreißig Mann. Wie immer in Indien, wenn ein so großer Troß sich in Bewegung setzen soll, vergingen mehrere Stunden, ehe Alles in Ordnung war. Obgleich wir schon vor Sonnenaufgang gerüstet waren und unterwegs sein sollten, fehlte an unserer Bagage doch bald dies, bald das. Als endlich sämmtliche dreißig Leute gerüstet beisammen waren und Abmarsch beginnen sollte, machte der „Hühner-Kuli", welcher einen großen Korb mit ein paar Dutzend Hühnern trug, einen Fehltritt und durch eine geöffnete Lücke des Korbes entwischten ein paar Hennen unter lautem Gackern. Das war das Signal für alle Kuli´s, sofort ihre aufgepackte Last vom Kopfe zu nehmen und sich unter lautem Geschrei an der allgemeinen Jagd auf die entwischten Flüchtlinge zu betheiligen. Kaum waren diese eingefangen, wieder eingesperrt, und der Abmarsch auf´s Neue begonnen, als ein zu fest gepackter Reissack platzte und seinen weißen Körnerinhalt auf den Boden entleerte. Abermaliges Signal zu allgemeinem Stillstande und zur Betheiligung am Einsammeln des Reises. Diese Pause benutzten einige Hühner, um durch eine neuentdeckte Lücke des Hühnerkorbes abermals zu entschlüpfen und auch ihrerseits Reiskörner zu sammeln, aber direct in den Magen. Nun ging die lustige Jagd erst recht los und abermals verrann eine halbe Stunde, ehe Alles wieder in Ordnung war. Aehnliche Scenen wiederholten sich am Tage noch mehrmals und so war es kein Wunder, daß wir mehr als volle zwölf Stunden gebrauchten, um den Marsch von zwanzig englischen Meilen, von Hakgalla bis zum Rasthaus, zurückzulegen. Es war ein Glück, daß unser Marsch den ganzen Tag vom schönsten Frühlingswetter begünstigt war; denn bei heftigem Regen wären wir hier schlimm angekommen. Der einsame und selten betretene Pfad, der dahin führt, durchschneidet abwechselnd dichten Urwald und ausgedehnte offene Glasflächen oder Patnas. Beide sind fast überall vollkommen scharf abgegrenzt. Denn die trockenen hohen Hartgräser, welche vorwiegend die Patna zusammensetzen, wachsen so äußerst dicht gedrängt und ihre Rasen bilden so undurchdringliche Wurzelgeflechte, daß sie im Kampfe um´s Dasein die sämmtlichen riesigen Bäume des Urwaldes besiegen und daß jeder Keim der letzteren, der aus den zahlreich ausgestreuten Samen zwischen den Gräsern emporzustreben beginnt, alsbald von diesen erstickt wird. Nur ein einziger Baum besteht diesen Kampf bisweilen siegreich und man sieht seinen hohen Stamm mit dunkelgrüner Schirmkrone oft einzeln mitten aus den Patnas hervorragen; es ist die Bergmyrte mit giftigen, birnförmigen Früchten (Careya arborea). Fast alle Gräser liefern ein schlechtes Viehfutter und zeichnen sich durch trockene, harte und rauhe Blätter, scharfe und spröde Stengel aus, viele zugleich durch aromatischen Geruch. Theils sind es echte Gramineen, theils Cyperaceen und Restiaceen. Der dichte Hochwald, der mit diesen Patnas abwechselnd und gewissermaßen große unregelmäßige Inseln in dem ausgedehnten Graslande bildet (ähnlich wie in den Prairien von Nord-Amerika), besitzt denselben ernsten und düsteren Charakter, der alle Wälder des Hochlandes, vom Adams-Pik bis hinüber zum Pedura auszeichnet. Obwohl die Bäume desselben sehr zahlreichen verschiedenen Arten und Gattungen angehören, stimmen sie doch in der allgemeinen Physiognomie meistens sehr überein; und da Blüthen und Früchte oft fehlen, hält es sehr schwer, sie zu unterscheiden. Die Blätter sind meistens lederartig, oben dunkel braungrün oder schwärzlich grün, oft glänzend; unten heller, häufig graugrün, silber- oder rostfarben. Die starken, knorrigen Stämme sind mit gelben Moosen und Flechten oft ganz umwickelt und außerdem mit Massen von Schmarotzern bedeckt, unter denen sich Orchideen und Leguminosen ddruch ihre prächtigen Blüthen auszeichnen. Horton-Plain´s Resthouse liegt eben so hoch, wie der Gipfel des Adams- Pik, 7200 Fuß; mithin tausend Fuß höher als das Becken von Nurellia. Diese Steigung fällt größtentheils auf die zweite Hälfte des Weges, während die erste Hälfte sich in wellenförmigem Hügellande, abwechselnd bergauf und bergab bewegt. Ungefähr in der Mitte zwischen beiden stießen wir auf einige leere Rohrhütten, die von einer Jagdgesellschaft vor einiger Zeit errichtet waren, und hier wurde eine Stunde Mittagsrast gehalten. Einige wilde Bergbäche abgerechnet, die wir auf übergelegten Baumstämmen überschritten, bot der Weg keine besonderen Schwierigkeiten. Sobald wir nach Ueberwindung einer steilen, von einem schönen Wasserfalle durchrauschten Schlucht, die höhere Stufe des Plateau´s erklommen hatten, begannen die charakteristischen Nillu- Wälder, die Lieblingsaufenthalt der wilden Elephanten. Die großen, zum Theil ganz frischen Dunghaufen derselben, die hier überall zerstreut lagen, sowie das niedergetretene Gebüsch bewiesen zur Genüge, wie häufig ihre Herben hier noch sein mußten. Da wir alle Augenblicke auf eine solche stoßen konnten, bemächtigte sich des ganzen Kuli-Trosses eine große Aufregung, und während die Träger vorher in kleineren Gruppen weit auseinander zerstreut gewandert waren, schlossen sie sich nun eng zusammen und gingen auf dem schmalen Pfade im Gänsemarsch dicht hinter einander, in einer langen Linie. Die  N i l l u -  W ä l d e r , welche ich hier in Horton-Plain´s in der größten Entwickelung und Ausdehnung antraf, bilden eine sehr eigenthümliche Waldformation und führen ihren Namen von verschiedenen Arten der Acanthaceen-Gattung  S t r o b i l a n& nbsp;t h u s , von den Eingeborenen Nillu genannt. Sie sind das bevorzugte Lieblingsfutter der Elephanten; meistens dünne, schlanke Stämmchen von 15-20 Fuß Höhe, in dicht gedrängten Garben neben einander wachsend und oben mit hübschen Blüthenähren geschmückt. Die schönste von ihnen (St. pulcherrimus) zeichnet sich durch prächtig carmoisinrothe Färbung der Stengel und Blüthenrispen aus, und da sie in dichten Massen das ganze Unterholz des Hochwaldes bildeten, brachten die durchfallenden Strahlen der sinkenden Abendsonne inihnen einen wundervollen Effect hervor. Die Elephanten fressen sich durch dieses dichte Unterholz förmlich hindurch. Einer geht immer hinter dem anderen; alles Gebüsch, das nicht gefressen wird, wird flach niedergetreten, und wenn eine Herde von zwanzig oder dreißig solcher Colosse hinter einander durch den Urwald marschirt ist, hat sie eine glatte Straße von einem Meter Breite gebahnt, wie man sie hier nicht angenehmer sich wünschen kann. Solche Elephantenstraßen waren es, auf denen wir in den nächsten Tagen uns fast ausschließlich bewegten, und nur mit ihrer Benutzung konnten wir mehrere sehr interessante Excursionen machen. Freilich sind aber diese bequemen Straßen auch nicht ungefährlich. Denn wenn man auf einer solchen plötzlich einer Elephantenherde begegnet, ist an Ausweichen nicht zu denken und man muß daher stets auf der Hut sein. Die Sonne war bereits untergegangen und es wurde schon ziemlich dunkel, ehe wir beim Austritte aus einer Waldinsel auf die freie Patna in der Entfernung einer Meile des ersehnten weißen Rasthauses ansichtig wurden. Neuer Muth durchdrang die ermattete und zum Theil schon recht niedergeschlagene Gesellschaft. Aber wir mußten noch einen tiefen Thaleinschnitt hinab und herauf klettern, um zu dem auf der jenseitigen Lehne gelegenen Rasthause zu gelangen. In der Tiefe des Einschnittes toste ein wilder Bach, über welchen anstatt der Brücke ein übergelegter Baumstamm führte. Wir waren recht froh, als endlich der ganze Troß im Dunkeln glücklich diesen gefährlichen Weg passirt hatte und wir wohlbehalten am ersehnten Ziele waren. Rasch wurden Feuer angemacht, die öden Räume der einsamen Steinhütte so behaglich als möglich hergerichtet, und der Reis nebst Hühner-Curry mit einem Appetite verzehrt, der den Anstrengungen des Tagemarsches entsprach. Die Temperatur, die Mittags in der Sonne gegen 30o R. betragen hatte, war jetzt auf 8o gesunken, und wir fühlten uns daher drinnen am Kaminfeuer, in wollene Decken eingewickelt, sehr behaglich, während unsere Kuli´s, draußen im halboffenen Schuppen gelagert, an die großen Feuer so nahe heranrückten, als ohne Verbrennungen möglich war. Das Wetter blieb während unseres Aufenthaltes in Horton-Plain´s Rasthaus fortwährend schön und begünstigte die interessanten Ausflüge, die wir in die wilde Umgebung dieser weltentlegenen Einsiedelei machten. Die erfrischende Hochgebirgsluft wirkte außerordentlich anregend; nur unsere arme Haut, durch gleichmäßige feuchte Hitze des Tieflandes sehr verwöhnt, hatte viel zu leiden. Gesicht und Hände sprangen so auf, wie bei uns mitten im Winter, theils in Folge der ungewohnten Trockenheit der dünnen Luft, theils auf Grund der starken Temperaturwechsel. Während das Thermometer in den heißen Mittagstunden (im Schatten) auf 24-26o R. stieg, fiel es nach Mitternacht auf 3-4o, und Morgens früh fanden wir die Patnas vor uns mit Reif bedeckt. Dichter Nebel lagerte dann auf Berg und Thal, sank aber bald wieder und machte dem strahlendsten Sonnenscheine mit tiefer Himmelsbläue Platz. Nachmittags bildeten sich gewöhnlich dicke Haufwolken, ohne daß es jedoch zum Regen kam; sie gruppirten sich zu phantastischen Massen, welche die untergehende Abendsonne mit den prachtvollsten Farben schückte. Wie das Wetter hier im Februar mich sehr an einen schönen Spätherbst in der deutschen Heimath erinnerte, so hatte auch die ganze Hochgebirgslandschaft, gegenwärtig schon dem Ende der sogenannten „trockenen Jahreszeit" entgegengehend, einen vorwiegend herbstlichen Charakter. Die dichten Gradecken der Patnas waren großentheils vertrocknet, mehr gelb und braun als grün gefärbt. Lange Strecken derselben waren auch braun und schwarz, mehr oder weniger verkohlt. Die singhalesischen Gebirgshirten, welche jährlich auf einige Monate mit ihren Herden hier herauf kommen, haben nämlich die Gewohnheit, vor Eintritt der Regenzeit die Gradflächen anzuzünden und niederzubrennen, um dadurch das Grasland zu verbessern. Wir genossen jeden Abend das prachtvolle Schauspiel dieser ausgedehnten Prairiebrände, die sich bei dem wellenförmigen Hügelterrain der Hochebene und inmitten der dunkeln Wälder, die die Patnas umschließen, doppelt großartig ausnehmen. Bald kroch die rothe Flamme im Zickzack gleich einer feurigen Riesenschlange an den Bergkanten hinauf; bald ergriff sie, rasch sich ausbreitend, eine größere Fläche trockenen Grases und schuf ein Flammermeer, dessen rother Glanz von den düsteren Wäldern des Hintergrundes und den dunkeln Wolkenmassen des Firmamentes zurückgeworfen wurde. Dann wieder stiegen Hunderte von kleinen weißen Rauchwolken aus den Patnas auf, als ob heiße Geisirquellen aus dem Schoße des Gebirges hervorbrächen; und die rothen, hellen Feuerstreifen, welche dieselben blitzartig durchzuckten, vermehrten die vulcanische Illusion. Obgleich wir jeden Abend vom Rasthause aus an dem wechselnden Feuerwerke dieser Grasbrände uns ergötzten, so bekamen wir doch niemals die Urheber derselben, die singhalesischen Hirten zu Gesicht; und die vollkommene Einsamkeit, deren wir uns hier erfreuten, wurde durch keine menschliche Figur gestört. Wir feiern in unserer deutschen Poesie die herrlichen Reize der „Waldeinsamkeit" und entschädigen uns durch deren Illusion für die zahlreichen Qualen, welche unser verschrobenes Culturleben uns tagtäglich auferlegt. Was ist aber unsere eingebildete deutsche „Waldeinsamkeit" (im besten Falle wenige Meilen vom nächsten Dorf entfernt) gegenüber der wahren und unergründlichen Waldeinsamekeit, welche hier die alten Urwälder im Hochlande von Ceylon uns darbieten? Hier sind wir sicher, in Wahrheit ganzh allein mit der ursprünglichen Natur zu sein. Ich werde niemal die Wonne der stillen Tage vergessen, die ich hier in den dunkeln Wäldernaudn auf den sonnigen Grasflächen „am Ende der Welt" zubrachte. Da mein Freund Trimen, mit besonderen botanischen Aufgaben beschäftigt, meistens seine eigenen Wege ging, durchstrich ich diese unberührten Wildnisse theils ganz allein, theils nur von einem schweigsamen schwarzen Tamil-Kuli begleitet, der mein Gewehr und Malzeug trug. Der tiefe Eindruck absoluter Einsamkeit, den diese abgelegenen Wälder im Hochgebirge von Ceylon hervorbringen, wird nicht wenig dadurch verstärkt, daß das Thierleben in denselben auffallend wenige Aeußerungen darbietet. Allerdings sind wilde Elephanten auch heute noch die Könige dieser Wälder. Aber ein einziges Mal bin ich ihnen hier wirklich begegnet, und die großen Russa-Hirsche oder „Elke" (Russa Aristotelis), die hier noch sehr häufig sein sollen, habe ich zwar mehrmals gehört, aber niemals gesehen. Auch von den Lippenbären und Leoparden, den gefürchteten Raubthieren dieser Wälder, habe ich keinen zu Gesicht bekommen. Diese und die meisten anderen Bewohner derselben sollen vorzugsweise oder ausschließlich eine nächtliche Lebensweise führen und sich tagsüber im kühlen Dickicht versteckt halten. Selbst die großen grauen Affen (Presbytis ursinus), die hier zahlreich sind, habe ich nur selten sehen können, obwohl ich ihre grunzende Stimme am frühen Morgen oft hörte. Die klagenden melancholischen Stimmen einiger Vögel, insbesondere der schönen grünen Waldtauben und Bienenfresser, hört man meistens auch nur am frühen Morgen. Später ist gewöhnlich das bunte Waldhuhn der einzige Vogel, der sich hören läßt. Dieser prächtige Galles Lafayetti steht dem vermuthlichen Stammvater unseres Haushuhnes ganz nahe. Der Hahn zeichnet sich durch bunt glänzendes Gefieder, schönen rothbraunen Halskragen und grünen Sichelschwanz aus, während die Henne ein unscheinbares, graubraunes Federkleid besitzt. Die klangreiche Stimme des wilden Hahnes, viel melodischer als das Kikeri seines cultivirten Vetters, hörte ich oft stundenlang im Walde, bald näher, bald ferner; denn die rivalisirenden Hähne führten ihren musikalischen Wettkampf um die Gunst der kritischen Hennen mit großem Eifer aus. Zum Schusse konnte ich aber trotzdem selten kommen; denn sie sind so scheu und vorsichtig, daß beim leisesten Geräusch das Concert verstummt, und sobald ich ein Mal einen geschossen hatte, blieb der Wald lange Zeit mäuschenstill. Oft saß ich hier, mit Malen beschäftigt, stundenlang auf einam alten Baumstamme, ohne einen einzigen Laut zu vernehmen. Wie das Vogelleben, so ist auch das Insectenleben, die Ameisen ausgenommen, auffallend arm, und namentlich von Schmetterlingen und Köfern sieht man nur sehr wenige, meist unansehnlich Formen. Das leise Summen schwebender Waldfliegen ist oft der einzige Laut, der neben dem Gemurmel eines kleinen Baches oder dem Rauschen des vom Winde bewegten Laubes das tiefe Schweigen des Gebirgsgeistes unterbricht. Um so größer ist der Eindruck, den die phantastischen Baumformen des Urwaldes hervorbringen, die knorrigen, wild durcheinander gewachsenen Stämme, deren zackige Aeste mit fußlangen Bärten von rothgelbem Mosen und Flechten geschmückt sind, und von deren breiten Schultern glänzend grüne Mäntel von Schlingpflanzen herabhängen. Oft sind die Stämme unten mit den weißen oder bunt gezeichneten duftreichen Blüthen parasitischer Orchideen geziert, während oben über ihrer schwarzgrünen Krone Schmarotzerpflanzen verschiedener Familien ihre bunten Blüthen entfalten. Eine ganz besondere Decoration dieser Wälder bilden die zierlichen schlingenden Bambusen (Arundinaria debilis). Ihre schlanken, dünnen Rohrhalme klettern hoch oben in die Bäume hinauf und hängen von deren Zweigen senkrecht, gleich Ampeln, herab, auf das Zierlichste mit Quirlen von frischgrünen Blattbüscheln geschückt. Den größten Schmuck bilden aber auch hier wieder, wie allenthalben im Hochlande, die prachtvollen baumartigen Alpenrosen (Rhododendron arboreum) mit den Riesenbouquets ihrer hochrothen Blüthen. Demnächst sind die wichtigsten Bäume dieser Hochlandwälder verschiedene Lorber- und Myrtenbäume, namentlich Eugenien, ferner Rubiaceen und Ternstroemiaceen. Dagegen vermißt man gänzlich die gewöhnlichen Baumformen unserer europäischen Wälder und vor allen die Nadelhölzer. Diese wichtige Familie fehlt merkwüdigerweise auf Ceylon ganz. Das schönste Gebirgspanorama, das wir bei unseren Excursionen auf Horton-Plain´s zu Gesicht bekamen, genossen wir auf dem Gipfel des  T o t a p e l l a  - P i k , den wir am 22. Februar beim prächtigsten Wetter bestiegen. Derselbe ist 7800 Fuß hoch und liegt nahe dem östlichen Rande des Plateau´s. Von seinem schwach bewachsenen Gipfel, der mit prächtigen rothen Melastomen (Osbeckia buxifolia) geziert ist, genießt man einen weiten freien Blick nach allen Seiten, nördlich auf die Gebirge von Nurellia, Pedura und Hakgalla; östlich auf die Hügellandschaft von Badula und den Namuna-Pik; südlich auf die Grenzmauern von „Ende der Welt" und westlich auf den Adams- Pik. Auch der Zugang zu diesem schönen Berggipfel wurde uns größtentheils nur dadurch möglich, daß wir ausgetretenen Elephantenpfaden folgten; wo diese fehlten, mußten unsere Kuli´s mit der Axt uns den Weg durch das dicht verwachsene Unterholz bahnen. Am 24. Februar besuchten wir das eigentlich  „ E n d e   d e r   W e l t "  („World´s End"), jene berühmte, aber selten besuchte großartige Felsenschlucht, in welcher der Südabhang des Hochlandes gleich einer senkrechten Mauer über 5000 Fuß in das Tiefland hinabstürzt. Der gewaltige Anblick dieses ungeheuren Abgrundes wirkt um so überraschender, als man nach zweistündiger Wanderung durch dichten Wald plötzlich beim Austritte aus demselben die gähnende Tiefe unmittelbar zu Füßen hat. Wie feine Silberfäden schlängeln sich die Flüsse unten durch den grünen Sammetteppich des Thalbodens, in dem man mittelst des Fernrohres hier und da das Bungalow einer einzelnen Pflanzung erkennt. Von den oberen Rändern der Felsenschlucht, die mit prächtigen Baumfarnen geziert sind, stürzen Wasserfälle herab, die sich (ähnlich dem „Staubbache" im Lauterbrunner Thale) vollständig in feinen Nebel auflösen, ehe sie unten ankommen. An dieser wildesten und großartigsten Stelle von Ceylon war es, wo ich auch zum ersten und einzigen Male wilde Elephanten in voller Freiheit erblickte, nachdem ich sie zuvor schon bei der Elephantenjagd von Lambugama in den Korral hatte treiben sehen. Ich zuerst auf sie aufmerksam durch das Knistern gebrochener Zweige mitten im Waldesdickicht, ungefähr fünfzig oder sechzig Fuß unterhalb der vorspringenden Felsplatte, auf welcher ich stand. Beim genauen Zusehen entdeckte ich in den wogenden grünen Massen des Dickichts eine Elephantenherde von zehn bis zwölf Stück, die in aller Ruhe ihr Nillu-Frühstück einnahm. Außer den Köpfen und den emporgestreckten Rüsseln, mit denen sie die Zweige umbogen und abbrachen, war von den meisten wenig zu sehen. Nachdem ich mich eine Zeit lang an dem seltenen Anblick geweidet, feuerte ich von meinen sicheren Hinterhalte aus auf die nächststehenden Elephanten die beiden Schüsse meiner Doppelflinte ab, natürlich ohne sie irgend zu verwunden, da letztere nur mit Rehposten geladen war. Die Antwort waren die lauten Trompetentöne, welche überraschte Elephanten stets ausstoßen, dann ein lautes Krachen in den dichten Baummassen, welche die gewaltigen Thiere wie Rohr niedertraten, und in wenigen Minuten war die ganze davon eilende Herde hinter der nächsten Felsenecke verschwunden. Vom „Ende der Welt", das zugleich das Ende unserer höchst interessanten Hochgebirgsreise war, stiegen wir auf einem steilen, vielgewundenen Serpentinenpfade durch die prachtvollsten wilden Waldschluchten hindurch in fünf Stunden nach Nonpareil hinab, der nächsten Kaffeepflanzung, die am weitesten in diese Einöden emporgedrungen ist. Dieselbe gehört Capitän Bayley, demselben unternehmenden Manne, dessen prächtiges Miramare in Puntogalla ich früher erwähnt habe. Bei seinem Sohne und Verwalter fanden wir die freundlichste Aufnahme. Wir hatten die Absicht gehabt, am Nachmittage desselben Tages noch weiter bis Billahuloya, dem ersten Dorfe dieses Thales hinabzusteigen; allein als wir noch einem vortrefflich mundenden Mittagessen im 4 Uhr weiter wandern wollten, brach ein so gewaltiger Gewitterregen los, daß wir gern der dringenden Aufforderung unserer werthen Gastfreunde entsprachen, die Nacht bei ihnen zu bleiben. Nachdem der Regen gegen 5 Uhr aufgehört hatte, erfreuten wir uns noch eines herrlichen Abends. Wir besichtigten die großartige, musterhaft angelegte Pflanzung und machten einen Spaziergang durch deren schöne Schluchten. Hunderte kleiner Wasserfälle, die den heftigen Güssen ihren momentanen Ursprung verdankten, stürzten allenthalben von den stielen Felswänden herab. Die prachtvolle Waldvegetation, welche die engen Schluchten erfüllte, glänzte im frischesten Grün und namentlich die herrlichen Guirlanden der Schlingpflanzen, welche von den mächtigen Schultern der hohen Bäume gleich grünen Kränzen herabhingen, erregten auf´s Neue unser Entzücken. Muntere Affen übten auf denselben ihre Seiltänzerkünste. Ganz besonders aber bewunderten wie die prächtigen Baumfarne (Alsophila), diese Palmen der Hochlandsschluchten. Ihre schirmförmigen, zierlichen Fiederkronen mit den gewaltigen und doch so zarten frischgrünen Wedeln bildeten die schönsten Schattendächer über den schäumenden Wasserfällen, über deren Felsenbecken ihre schlanken schwarzen Stämme sich zwanzig bis dreißig Fuß erhoben; einzelne Prachtexemplare erreichten hier sogar die seltene Höhe von fünfundvierzig bis fünfzig Fuß und darüber. Es war das letzte Mal, daß ich mich an solchen großartigen Baumfarnen erfreute; denn weiter unterhalb an den Bächen waren sie viel unansehnlicher und kleiner, und beim weiteren Herabsteigen in das Tiefland verschwanden sie bald ganz.


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