Berg- und Seefahrten (1923)

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und doch so fernen - albanesischen Festlande gegenüberzustellen. Die öden, wilden Gebirge desselben wurden früher oft von den Engländern besucht, um in ihren undurchdringlichen dornigen Buschwäldern wilde Schweine, Hirsche und Rehe zu jagen; und eben jetzt lag wieder eine elegante englische Dampf-Yacht im Hafen, deren reicher Besitzer eigens zu diesem Zweck von London nach Korfu gekommen war. Auch der englische Konsul daselbst, Mr. Taylor, macht öfter derartige Jagdexkursionen, insbesondere nach dem großen Landsee von Bucintro, dessen Umgebung reich an Wild aller Art ist. Derselbe ist im Besitze einer niedlichen Dampfbarkasse und hatte diese eines Tages einer österreichischen Edeldame, der Herzogin von Casalanza, und ihrer Familie zur Verfügung gestellt, deren angenehme Gesellschaft ich an der Tafel der "Bella Venezia" mehrere Wochen genoß. Die Herzogin hatte die Güte, mich zur Teilnahme an einer Exkursion nach Bucintro einzuladen, und so dampfen wir denn in der kühlen Morgenfrühe des 20. März über den Kanal von Korfu nach Epirus hinüber. Eine solche offene Dampfbarkasse ist ein ganz allerliebstes Fahrzeug. Drei Bänke im vorderen Teil bieten bequemen Platz für 8-10 Personen; in der Mitte arbeitet die kleine Maschine, von 6-10 Pferdekräften, und im hinteren Teile ist der Platz für die drei Schiffsleute (Steuermann, Maschinist, Matrose).

Der Mrogen des 20. März war etwas nebelig und die Gebirge rings um den See von Korfu in einem zarten blauen Schleier gehüllt, wie man ihn hier nicht oft sieht. Bald aber brach die Sonne strahlend durch; die einzelnen Bergköpfe wurden frei, und als wir nach einer Stunde den Kanal von Korfu durchschnitten hatten, war schönstes Wetter. Neugierig betrachteten wir die öde Küste von Epirus, an der nur die Ruinen eines alten Kastells, sonst aber weit und breit kein Haus, kein Mensch, keine Spur von Kultur zu sehen war. Hier in der einsamen Bucht von Butrinto stand nach der Sage einst die Burg von Neu-Ilion, von Andromache und Helenos gegründet; und heir traf auch Äneas auf seinen Irrfahrten mit ihnen zusammen. Unsere Dampfbarkasse lief nun in die Mündung des Flusses Butrinto ein, den Abfluß des großen Livuri-Sees, der eine Stunde oberhalb sich in einem weiten Talkessel ausbreitet. Die niederen, sumpfigen Ufer des Flusses sind dicht mit hohem Schilfe bewachsen, und bei unserer Annäherung flogen Scharen von Wasservögeln aus demselben empor. Große karpfenartige Fische schnellten über den Wasserspiegel heraus. Nach einer halben Stunde erblickten wir am rechten Flußufer die Ruinen eines alten römischen Kastells, darüber auf einem Hügel die Trümmer und Mauern einer Venetianer-Festung. Gegenüber am linken Ufer erschien die kleine Stadt Butrinto oder Vutzindro, nahe dem Buthrotum der Alten, ein elender Ort, der uns in seinen schmutzigen Hütten und noch schmutzigeren, zerlumpften und bettelnden Bewohnern ein Charakterbild vom Kulturzustand der europäischen Türkei gab. Der wachhabende Genderm erteilte uns, nach Vorzeigung eines Permesses vom


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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