Berg- und Seefahrten (1923)

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türkischen Konsul in Korfu, die Erlaubnis zum Passieren der Flußsperre, und weiter dampften wir den Strom hinauf, bald in den See hinein. Einsam und lautlos lag die weite, grüne Spiegelfläche vor uns. Nur dann und wann wurde die Stille durch aufgescheuchte Wasservögel oder durch einen plätschernden Fisch unterbrochen. Der See ist sehr reich an vielen Arten von Fischen und von Vögeln. Nordwärts uns wendend, durchschnitten wir den See seiner Länge nach.

Die Szenerie des Livuri-Sees ist wild und großartig: ringsum hohe Berge, unten größtenteils dicht mit Buschwald, teilweise auch mit Hochwald bedeckt, oben kahl und öde; im Norden und Osten darüber emporragend Ketten von höheren Gebirgen, in schimmernden Schnee gehüllt. Von menschlichen Ansiedelungen war auch hier weit und breit keine Spur zu sehen. Nur drüben am östlichen Gestade schien ein kleiner Ort zu liegen. Die Ufer sind teils felsig, teils mit hohem Schilf bewachsen. Überall flogen bei unserer Annäherung zahlreiche Wasservögel auf: wilde Enten, Schnepfen, Wasserhühner, Möwen; und weiterhin sahen wir auch einen Schwarm Pelikane. Aus dem Buschwald sprang hier und da ein schüchternes Reh hervor.

Auf einem Vorsprunge des Ufers am nordwestlichen Gestade des Sees landeten wir. Ein sanft geneigter Rasenplatz, dessen frisch aufgewühlte Erde die deutlichen Spuren eines Besuches wilder Schweine in letzter Nacht zeigte, bot uns eine passende Lagerstätte. Im Schatten einer Eiche nahmen wir unser mitgebrachtes Frühstück ein. Dann teilte sich die Gesellschaft. Einige gingen auf die Jagd, andere an das Seeufer. Ich stieg auf die nächstliegende Berghöhe im Norden. Mühsam durch dorniges Gestrüpp mich hindurchwindend, gelangte ich in 1 Stunde auf den kahlen Gipfel eines fast senkrecht gegen den See hin abstürzenden Felsens. Das kleine Plateau bot eine hübsche Rundsicht auf Meer und Gebirge, wie über den ganzen See und dessen Umgebung. Üppige Vegetation von Schlingpflanzen und dornigen Sträuchern vielerlei Art bedeckte jeden Fuß breit Boden, der nicht vom nackten Fels eingenommen wurde. Eichen, Buchen, Strandkiefern, Eschen wuchsen bunt durcheinander.

Am Nachmittag traten wir unseren Rückweg an. Längs des westlichen Seeufers hinfahrend, entdeckten wir im Grunde einer kleinen schilfigen Bucht eine Sommeransiedlung albanesischer Hirten. Auf einem kleinen, halb im Gebüsch versteckten Rasenplatze standen drei kegelförmige oder vielmehr glockenförmige Rohrhütten von 10-12 Fuß Höhe und ebensoviel Durchmesser. Ein paar nackte Kinder spielten vor denselben und erheben bei unserer Annäherung ein lautes Geschrei. Wilde, zottige Wolfshunde stürzten bellend hervor, und nur mti Mühe konnten wir uns ihres wütenden Angriffs erwehren. Dann trat aus einer der Hütten ein junges, in elende Lumpen gehülltes Mädchen: aus dem Busch sprang ein hübscher, mit einem zottigen Ziegenfell bekleideter Knabe.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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