Berg- und Seefahrten (1923)

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kultus ist ein recht einträgliches Geschäft, sowohl für die Kirche, als für die Familie, deren Privatbesitz er bildet. So unglaublich es auch klingen mag, der angebetete Heilige, vor dem ganz Korfu in den Staub sinkt, ist das Privateigentum der Familie Bulgaris und trägt ihr bessere Zinsen als die solidesten Staatspapiere und Eisenbahnaktien! Eine Tochter dieser Familie bekam die einträgliche Mumie dereinst bei ihrer Hochzeit als wertvollste Aussteuer mit! Seitdem muß wenigstens ein Sohn der Familie immer Priester werden, um ihren Gewinnanteil an dem prosperierenden Kirchengeschäft gehörig zu kontrollieren. Außer der klingenden Münze, die reichlich in die Opferbecken fällt, und außer Naturaliengaben verschiedenster Art, besteht ein Hauptanteil des Ertrages in den zahlreichen, ungeheuren Wachskerzen - zum Teil von 10-12 Fuß Länge! - die von gläubigen Seelen der Kirche geschenkt werden. Leider hat aber hier der fortschreitende Zeitgeist des neunzehnten Jahrhunderts der Kirche einen bösen Possen gespielt, indem jetzt immer mehr die Unsitte überhand nimmt, die riesigen Kerzen nicht mehr als teurem Wachs, sondern aus billigem Stearin gefertigt zu liefern!

Ein Haupteffekt der Spiridion-Prozession, wie anderer kirchlicher Schauspiele besteht darin, daß alle Sinne der Gläubigen gleichzeitig beschäftigt werden. Während das Auge durch die Farbenpracht und Mannigfaltigkeit des Aufzuges unaufhörlich angezogen wird, dienen Musikstücke aller Art zur Ergötzung des Ohres: heitere Blechmusik wechselt mit frommen Chorgesängen, Trommelwirbel mit Kanonensalven. Die Nase erhält ihren Anteil am Genuß weniger durch die wohlriechenden Blumenmassen als durch den narkotischen Duft der aufsteigenden Weihrauchwolken, und für die Befriedigung des Geschmackssinnes ist durch geweihte Konfitüren und verzuckerte Heiligenbilder aller Art, aus Gewürzkuchen modelliert, hinreichend gesorgt. So gestaltet sich denn die andächtige Spiro-Prozession zu dem heitersten Volksfeste. Am Nachmittage strömt nach beendigtem Umzuge alles in die Kaffeehäuser und vergnügt sich auf den Rasenplätzen der Esplanade mit Spiel und Tanz, mit Tombola und Lotterie. Der Gesamteindruck ist demnach auch hier ähnlich wie bei den bekannten großen Prozessionen der römischen Kirche, wiewohl bei den griechischen alles doch mit mehr Grazie ausgeführt wird. Freilich erscheint auch diese Feier immer noch roh und niedrig genug, wenn man bedenkt, daß auf demselben Boden schon vor 2000 Jahren in griechischen Tempeln die Gottheiten des Olymps verehrt wurden, so viel erhabener und ästhetischer, als sich eine marmorne Apollostatue über die getrocknete Spiromumie und ein edler ionischer Tempel über ein verschnörkeltes Bethaus der Gegenwart erhebt!

Was für sonderbare, zum Teil uralte Gebräuche sich hier in der griechischen Kirche noch bis auf den heutigen Tag erhalten haben, das sah ich noch deutlicher am Osterfeste. Am Karfreitag Abend findet eine große, nächtliche Prozession unter Fackelbeleuchtung statt, und am folgenden


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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