Berg- und Seefahrten (1923)

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glänzende Tracht aus, meistens schöne, hoch gewachsene Leute mit lang wallendem Haar. Der lange, bis auf den Gürtel herabfallende Bart und die hohe, goldverzierte Tiara auf dem stolz getragenen Haupte verlieh ihnen eine gewisse Majestät. Der lange Talar, ganz mit Goldstickerei geziert, glänzte in den lebhaftesten Farben, je nach der Parochie, verschieden. Ihre Zeremonien verrichten sie mit edlem Umstande. Überhaupt machen die griechischen Popen einen vorteilhafteren Eindruck, als ihre römischen Kollegen. Während die letzteren angeblich im Zölibat leben, sind die griechischen Popen (mit Ausnahme der Bischöfe und Erzbischöfe) verheiratet und befleißigen sich eines anständigen Lebenswandels. Der Hokuspokus des Heiligendienstes spekuliert freilich dort ebenso wie hier auf den Aberglauben der Menge!

Den glänzenden Mittelpunkt der Prozession bildete der Erzbischof, eine hohe und imposante Figur mit schönem Gesicht. Er wird von den Frauen Korfus vergöttert, spricht auch unter anderem ein wenig Deutsch und ist sich seines persönlichen Eindruckes wohl bewußt. Er verstand denselben sehr geschickt und kokett zu gebrauchen. Ein schwarm jüngerer, zum Teil sehr hübscher Priester umgab ihn. Gleich hinter dem Erzbischof erschien der heilige Spiridion selbst, eine eingetrocknete braune Mumie, aufrecht stehend in einem hohen, goldverzierten, einer Sänfte ähnlichen Kasten, von sechs Priestern getragen. Durch die Fenster seines Gehäuses kannman den oberen Körperteil ganz gut sehen. Das grinsende braune Gesicht starrt mit weit geöffnetem Munde vor und zeigt noch recht gut erhaltene weiße Zähne. Um einen noch größeren Eindruck auf die andächtige Menge zu machen, ist der Kopf nur locker befestigt, so daß er bei stärkeren Bewegungen der Tragbahre hin- und herwackelt. Alles drängt sich heram, um den allmächtigen Heiligen zu sehen und seiner segenbringenden Nähe teilhaftig zu werden. Frauen wetteifern, um Wachstropfen von seinen träufelnsden Kerzen aufzufangen. Kleine Kinder werden, um sie vor Krankheit zu schützen, ihm in den Weg gelegt, so daß der heilige Mumienkasten über sie hinweggeht. Solche Spirokinder tragen dann ein ganzes Jahr lang ein schwarzes Kleidchen. Außerdem wird auch die Mumie noch ein paar Tage lang in der Spiridionkirche ausgestellt, und bei halb geöffnetem Kasten ist es gestattet, ihr die Füße zu küssen. Ich selbst wäre bei dieser Gelegenheit beinahe zum Spirokultus bekehrt worden, denn als ich, unter die gläubige Menge gemischt, mein skeptisches Ketzerhaupt neugierig in den Glaskasten hineinsteckte, um womöglich durch anatomische Autopsie noch etwas näheres über die wahre Beschaffenheit der Mumie zu ermitteln, schüttelte der Heilige ungnädig das Haupt. Zum Glück bemerkte ich noch rechtzeitig, daß er in demselben Moment - zufällig oder absichtlich - einen Stoß durch den neben dem Kasten aufgestellten Kirchendiener erhalten hatte!

Natürlich tut der heilige Spiridion diese und andere Wunder nicht umsonst, sondern alles wird mit klingender Münze bezahlt! Der Spiro


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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