Berg- und Seefahrten (1923)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]
wehrt, jedoch wenig über 2000 Fuß Meereshöhe erreicht: der Zehnheiligen-Bergt (Monte Deca, eigentlich Oros hagion deca). An den beiden entgegengesetzten Enden der schmalen, langgestreckten Insel (deren Gesamtform gewöhnlich mit einer umgelegten 7 verglichen wird), nordwärts vom Salvatore und südwärts vom Monte deca, finden wir nur flaches, dünn bevölkertes, zum Teil sumpfiges Vorland. Zwischen beiden Bergmauern aber mitteninne liegt der reicht gesegnete Mittelteil der Insel, das wahre "Paradies der Phäaken". Die geschützte Lage desselben wird dadruch noch besonders begünstigt, daß auch nach den anderen Himmelsgegenden hohe Berge vorliegen. Westwärts steigt der Felsenleib der Insel selbst steil aus dem Meere empor, mit einer Reihe malerischer Bergkuppen gekrönt. Ostwärts aber wird das sanft geneigte und in eine blühende Gartenfläche ausgebreitete Hügelland dadurch geschützt, daß das gewaltige Gebirge der nahen Terrafirma von Epirus nur wenige Meilen entfernt ist, die akrokeraunischen Bergzüge, und dahinter aufsteigend die großartigen Gipfel der Kondovuni. Die vielgestaltigen, schneebedeckten, in den schönsten Formen wetteifernden Häupter dieser letzteren geben für die meisten Landschaftsbilder von Korfu einen unvergleichlichen Hintergrund. Zugleich treten aber die vielfach geklüfteten und tief eingeschnittenen Buchten des albanesischen Festlandes nord- und südwärts so weit vor, daß sich sich den gegenüberstehdnen Enden der sichelförmig gekrümmten Insel beträchtlich nähern. Daddurch gewinnt die weite, von beiden eingeschlossene Bai von Korfu ganz das Aussehen und den landschaftlichen Charakter eines gewaltigen Gebirgssees - unstreitig ein Hauptreiz dieses wundervollen und großartigen Bildes. Die Täuschung ist um so vollständiger, als von der Stadt aus die nördliche Einfahrt in den Kanal durch übereinandergeschobenen Kulissenvorsprünge völlig geschlossen erscheint, die kleine Lücke der weiteren südlichen Ausfahrt aber sich im Dufte der blauen Ferne verliert. So stellt sich denn der ganze Golf von Korfu als ein ovaler, rings von hohen Bergketten umschlossener Binnensee von 2-3 geographischen Meilen Breite, 5-6 Meilen Länge dar, nicht weniger umfangreich, großartig und malerisch als der Genfer See oder der Gardasee.

Dem mächtigen Schutze, welchen die gewaltigen Ringmauern der Gebirgte diesem herrlichen Becken gewähren, verdankt Korfu auch zum großen Teile von mildes Klima. Schnee fällt nur bisweilen oben in den Bergen, und Eis gehört im mittleren Teile der Insel zu den größten Seltenheiten. Die mittliere Jahrestempertur (entsprechend der der Quellen) beträgt zwischen 13 und 14o R. Mitten im Winter herrscht hier wochenlang warmes, sonniges Wetter, welches unseren Junitagen gleicht. Welche zauberhaufte Überraschung, wenn man im Schneegestöber über den rauhen Karst nach Triest gelangt ist, und sich dann nach zweimal 24 Stunden plötzlich auf Korfu in den lachendsten warmen Frühling versetzt sieht! Der eigentliche Frühling von Korfu hat die Temperatur unseres Sommers.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Bibliothek.
© Kurt Stueber, 2007. Dieses Buch ist geschützt durch die GNU Free Document License. Diese Lizenz erlaubt private und kommerzielle Verwendungen unter den Bedingungen der GNU Free Dokument License. Bei Verwendung von Teilen/Abbildungen bitten wir um die Quellenangabe: www.BioLib.de