Berg- und Seefahrten (1923)

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Manfredonia. Darüber nördlich erhebt sich der Engelberg oder Monte S.Angelo. In einer Grotte desselben wird seit 13 Jahrhunderten das Bild des Erzengels Michael aufbewahrt und noch jetzt alljährlich von Tausenden frommer Pilger angebetet: einer der letzten Hoffnungsanker des heiligen Vaters, der sehnsüchtig aus dem Vatikan herüberblickt und die immer leerer werdende Kasse St. Peters mit den reichen Metallschätzen füllt, die hier jedes Jahr von Tausenden gläubiger Schafe dem drachentötenden Erzengel dargebracht werden.

Langsam zieht auch diese historische Küste an unserem Blicke vorüber, und da jetzt bis zum Abend kein weiterer Küstenpunkt unser Auge fesselt, behalten wir Muße genug, um über die Macht des menschlichen Aberglaubends nachzudenken, der noch heute wie vor 1300 Jahren - trotz Eisenbahnen und Telegraphen, trotz monistischer Philosophie und Deszenden-Theorie - die große Mehrzahl der Menschen einem Dogma beugt, das nur der Herrschsucht ihrer Priester zum Vorteil gereicht.

Nach Einbruch der Dunkelheit wurden wir durch eine andere Erscheinung beschäftigt. Der frische Nordwind hatte sich gelegt, der Meerspiegel sich geglättet, und bald stiegen Tausende von Medusen und Krebsen, Würmern und Insusorien aus der Tiefe an die Oberfläche empor und wetteiferten, um uns durch reiche Lichtspenden das herrliche Schauspiel des Meeresleuchtens zu gewähren. Stundenland verweilten wir noch auf dem Verdeckt, um die unendlich mannigfaltigen Lichtfiguren dieses zoologischen See-Feuerwerks zu bewundern und im Kielwasser des Dampfers die weit zurückreichende Funkenflut zu verfolgen.

Als wir am folgenden Morgen das Deck betraten, erblickten wir bereits vor uns zur Rechten das ersehnte Reiseziel, zur Linken die öde, steil aufsteigende Felsenküste des türkischen Festlandes südlich vom Kap Linguetta. Beide nähern sich zusehends, und wir treten in den engen, kaum 1 Stunde breiten "Kanal von Korfu". Die Nordküste der Insel, die wir unmittelbar vor uns haben, entfaltet ihre Reize, je mehr wir uns ihr nähern. Über steilem, felsigem Strande erblicken wir grünes Vorland mit Olivenhainen, aus denen wieße Dörfchen hervorschimmern; stolz erhebt sich darüber der höchste Berg der Insel, der bis über 3000 Fuß aufsteigende Monte Salvatore oder Erlöserberg, mit dem altgriechischen Namen Pantokrator, Allbeherrscher. Dieser gewaltige Bergrücken zieht wie eine hohe Schutzmauer durch den ganzen nördlichen Teil der Insel von Ost nach West, an beiden Enden in einen flachen Spitzkegel sich erhebend, der ihm eine sehr charakteristische Gestalt verleiht: eine Festungsmauer mit zwei symmetrisch abschließenden Turmzinnen. In der Tat bildet dieser mächtige, steile Wall eine sichere Schutzwehr für den mittleren Teil der Insel, und indem er alle kalten Nordwinde von ihm abhält, trägt er nicht wenig zu seinem warmen Klima bei. Dieser Nordmauer gegenüber erhebt sich im südlichen schmäleren Teile von Korfu ein anderer hoher Berg, der in ähnlicher Weise den von Süden kommenden Schirokko ab


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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