Berg- und Seefahrten (1923)

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größeren Spaziergang machen. Doch brannte die Sonne so furchtbar heiß von dem wolkenlosen Himmel (die Hitze stieg sicher über 30o!), daß wir ganz erschöpft unter einem Bananen- und Tamariskengebüsch lange Siesta hielten.

Um 5 Uhr bestiegen wir die Rosalia, das kleine elende Correoboot, welches uns über Fuerteventura hierher führen sollte. Während das Boot bei gutem Wind hierzu 30-35 Stunden braucht, mußten wir bei widrigem Ostwind 4 Tage und Nächte dazu verwenden, welche bei der miserablen Beschaffenheit des Fahrzeugs wirklich martervoll wurden. Zwar waren außer uns 4 Naturforschern und der Mannschaft nur noch 2 Passagiere, Bauerm von Lanzarote, an Bord. Allein der Bord war so überladen mit Vieh und Früchten, daß wir nirgends ein erträgliches Sitzplätzchen erwerben konnten und entweder unten in der Kajüte schmachteten, oder oben auf eine einem Haufen Fruchtkörben zwischen Ochsen uns Schweinen herumklettern mußten. Leider konnten wir so auch die Nächte nicht auf dem Verdeck zubringen, sondern waren gezwungen, uns in die scheußliche Kajüte einpferchen zu lassen, welche schlimmer als das schlimmste Zuchthaus war, ein dunkles Loch ohne Fenster, 6 Fuß lang, 2-3 Fuß breit, umgeben von zehn paarweise übereinander gelegenen Holzkästen von 4 Fuß Länge, 2 Fuß Breite. In diesen elenden Kästen, welche die Stelle der Kojen vertreten, mußten wir unseren armen Kadaver einzwängen, noch dazu ohne alle Unterlagen von Matrazen und dergleichen; dabei war das ganze Kajütenloch aber so schmierig und übelriechend wie der vordere Teil des Schiffes, auf welchem sich die Schweine und Ochsen zusammengepfercht befanden. Natürlich wimmelte es von Insekten aller Art: Flöhe habe ich noch nie in solchen Massen beisammen gesehen, selbst nich vor 8 Tagen in Icod de los Vinos, wo jeder von uns in einer Nacht zwischen 50-200 Flohstiche erhielt; Wanzen waren noch zahlreicher als in Orotava; Schaben (Blatta) liefen in Scharen über den geplagten Kadaver hinweg; und als schlimmstes von allen bedrohten uns noch die Läuse, welche sich die Schiffsmannschaft gegenseitig von ihren wie gepudert aussehenden schwarzen Häuptern ablas und mit großem Appetik verspeiste. Die Mannschaft selbst war viehisch roh, am meisten der Kapitän, dessen Hauptvergnügen darin bestand, Hund auf die Schiffsjungen zu hetzen oder diese mit Seilen oder Rohrstäben zu prügeln. Noch nie habe ich einen so scheußlichen Aufenthalt in so nichtswürdiger Gesellschaft gehabt, und darin mußten wir vier ganze Tage und Nächte in der allerunbequemsten Lage aushalten, wobei uns das starke Schaukeln des kleinen Schiffes in den hohen Wellen immer von einer Seite auf die andere warf. Fast beneidete ich den armen Greeff und Miklucho, welche in ihrer Seekrankheit ihre Leiden nicht so fühlten wie Fol und ich. Als wir endlich gestern mittag durch die Becagna zwischen Lanzarote und Fuerteventura hindurchfuhren, hatten Fol und ich die größte Lust, über Bord zu springen und nach Lanzarote hinüber zu


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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