Berg- und Seefahrten (1923)

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boot abgehen. Da jedoch die Spanier über alle Begriffe liederlich sind und vom Wert der Zeit gar keinen Begriff haben, so geschieht hier in der Regel alles 24 Stunden später, als zuerst bestimmt ist. So ließ denn auch unser Correos uns einen ganzen Tag warten, und statt Montag um 4 Uhr ging die "Estrella" Dienstag um 2 Uhr unter Segel. Schon um 10 Uhr morgens mußten wir an Bord sein und dort abermals 4 Stunden warten. Welchen Ärger und welche Scherereien wir mit dem Transport des Gepäcks, dem Einschiffen usw. hatten, läßt sich kaum beschreiben; alles, was ich in dieser Beziehung in Italien erlebt habe, bleibt weit hinter den Erfahrungen von Sanza Cruz zurück. Das Volk ist hier noch halb wild. Die Estrella selbst war so dicht mit Menschen und Vieh besetzt, daß wir froh sein mußten, ein kleines Sitzplätzchen auf dem Verdeck oder auf einem Stück Paket zu erobern, denn die Kajütenplätze, die wir genommen hatten, waren gänzlich uneinnehmbar. Eine Kompanie Soldaten, welche von der Garnison von S. Crz nach Gran Canaria verlegt wurde, nahm das ganze Verdeck fast für sich in Anspruch, und ihre Weiber, wahre Megären, legten sich flach nebeneinander auf den Boden des engen finsteren Loches, welches unverdienterweise Kajüte genannt wurde. So blieben wir denn die ganze Nacht auf dem Verdeck.

Glücklicherweise wehte der Wind so günstig, daß wir schon am anderen Morgen auf der Reede von Las Palmas, der Hauptstadt der Insel Gran Canaria, die Anker fallen ließen. Wir gingen alsbald, nachdem unser Gepäck auf ein anderes Correosbook, die Rosalia, geschafft war, ans Land und benutzen den Tag, um uns Las Palmas mit der nächsten Umgebung anzusehen. Nach der reizenden Schilderung, die wir von Gran Canaria gelesen, waren wir ziemlich enttäuscht, denn die Umgebung der Hauptstadt ist durchaus öde, die Berglinie keineswegs besonders schön. Der Reichtum an Wald und Wasser, von dem die früheren Reisebeschreiber sprechen, ist jetzt größtenteils verschwunden. Doch macht die Stadt immerhin einen sehr charakteristischen und echt afrikanischen Eindruck. Die Häuser, alle weiß, ohne Dächer, ziehen sich in langen Reihen am Fuße einer öden, dunkelbraunen, vulkanischen Hügelreihe hin, über welchen sich das höheren Zentralgebirge Cran Canarias erhebt. Der hintere Teil der Stadt zieht sich in zwei engen Bergschluchten hinauf, in welchen zahlreiche Palmen zwischen den Häusern stehen. An mehreren Stellen bilden die Palmen förmlich kleine Wäldchen. Das tiefblaue Meer, einige runde Kirchenkuppeln in den weißen Häusermassen, die dunkelblauen Berge und baumartigen Euphorbien, mächtige Agaven an den Wegen, Kaktusfelder aus den Hügeln geben der Landschaft ein ganz fremdartiges, orientalisches Gepräge.

Von dem englischen Konsul in Las Palmas, Mr. Houghton, an den ich durch Sir charles Lyell in London warm empfohlen war, wurden wir sehr freundliche aufgenommen und mit den Verhältnissen der Insel Gran Canaria vertraut gemacht. Um Mittag wollten wir noch einen


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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