Berg- und Seefahrten (1923)

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kosten, da Arrecife, obschon über 2000 Einwohner besitzend und Hauptort der Insel Lanzarote, dennoch keineswegs einer Stadt oder einem Hafenort nach europöischen Begriffen entspricht, vielmehr in Bauart, Umgebung, Einrichtung usw. der nur wenige zwanzig Meilen entfernten marokkanischen Küste von Afrika entnommen scheint. Die meisten Häuser sind einfache, einstöckige, weiße Würfel ohne Dach, bloß mit einer Tür, ohne Fenster, oder nur mit 2-4 Fensterlöchern, die aber nur durch grüne Holzläden, nicht durch Scheiben, gesclossen werden. Nur einige Häuser besitzen Fenster mit Glasscheiben, und ein solches zu erobern wird morgen unsere nächste Aufgabe sein. Bei den guten Empfehlungen, welche ich hierher mitgebracht, wird es uns hoffentlich gelingen, uns in einem erträglichen, arbeitsfähigen Zustande einzurichten. Sind wir erst eingerichtet, so wird uns das Studium der Meeresfauna von Arrecife für die nächsten 3 Monate ganz ausschließlich in Anspruch nehmen, da wir alles, was wir überhaupt von Seetieren in dem wenig bekannten kanarischen Archipelagus finden könnten, sicherlich hier am besten finden. Zudem ist Lanzarote, ebenso wie die nahe Insel Fuerteventura, eine so wüste Einöde, so entblößt von Vegetation und anderen Naturschönheiten, daß keine verlockende Exkursion uns von unserem Arbeitstisch wegziehen wird. Zwar sind diese beiden Inseln nicht gerade, wie uns Herr Berthelot in Santa Cruz sagte: "Partiees detachées de la Sahara" zu nennen. Denn Lanzarote sowohl als Fuerteventura sind keine flachen Sandinseln, sondern Konglomerate von zahlreichen, niedrigen, vulkanischen Kegelbergen, deren höchste kaum 2000 Fuß Höhe erreichen. Allein diese Berge selbst sind ganz nackt und ohne Vegetation. Auf der ganzen Insel haben wir noch keinen Baum erblickt, und die kleine Hafenstadt liegt in der nacktesten, ödesten Umgebung. Das einzige Grün der Insel bilden ausgedehnte Kaktusfelder, auf denen die Koschenilli-Schildlaus, der einzige Erwerbszweig der Insulaner, gezogen wird. So wird denn unser Skizzenbuch jetzt vollständig Ruhe haben und der Pinsel nicht mehr für Landschaften, sondern nur noch für Tiere in Anwendung kommen.

Nach den bunten und mannigfaltigen Reiseeindrücken, welche uns das unstete Nomadenleben der letzten 2 Monate gebracht hat, sind wir übrigens herzensfroh, hier endlich einen festen Ruhepunkt gefunden zu haben, und werden nun mit doppeltem Eifer an die Arbeit gehen. Die letzten 8 Tage haben noch möglichst dazu beigetragen, in uns dieses Gefühl ganz besonders lebhaft zu erwecken; sie gehörten zu den unangenehmsten und beschwerlichsten Reisetage, deren ich mich erinnere. Da eine regelmäßige Dampfschiffverbindung zwischen den Kanarischen Inseln leider noch nicht existiert, so waren wir gezwungen, um von Teneriffa nach Lanzarote zu gelangen, das sogenannte Postschiff zu benutzen, d. h. ein Segelboot der elendsten Art, welches Vieh und Lebensmittel aller Art von einer Insel zu andern bringt und welches nebenbei zugleich die Post und eine beschränkte Anzahl Passagiere befördert. Montag, den 3. Dezember, sollte dieses Correos


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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