Berg- und Seefahrten (1923)

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meist auf das täuschendste in Größe und Gestalt Vogelfedern glichen. Jeder einzelne Lavablock schien mit einem Federkleide bedeckt, das oft vollständig einem Komplex von Schwanenflügeln glich. Nur der heiße Südwind, der auf der Südseite jedes Blocks schnelle Schmelzung verursachte, während auf der anderen, nördlichen Seite sogleich wieder der herübergewehrte Wasserstaub in Form von zarten Eisfeldern erstarrte, konnte diese höchst wunderbaren und seltsamen Bildungen produzieren. Niemals habe ich in den Alpen etwas Ähnliches gesehen, oder in Beschreibungen des alpinen Eises von dergleichen gelesen. Über den Bimssteinlagern und den Aschefeldern bildet das Eis mehr eine gleichförmige aber äußerst zierliche und feinfiedrig gezeichnete Lage. Jeder einzelne hervorragende Bimsstein auf demselblen trug aber eine äußerst zarte und schön geformte, meist schild- oder nierenförmige Eisplatte. Die unendliche Mannigfaltigkeit und unbeschreibliche Schönheit diese Eisblätter, Eisblumen und Eisfedern, welcher hier und da in Form der wunderbarsten, höchst phantastisch geformten Eisbäume zusammengehäuft und übereinandergebaut erschienen, gewährte mir während der äußerst beschwerlichen Tour von der Estanzia Inglese bis zur Spitze des Pik den höchsten Genuß.

Von dem Rückwege habe ich Euch in meinem Briefe noch nichts erzählt. Er war nicht weniger beschwerlich und gefährlich als der Aufstieg. Nur über den Piton ging's sehr rasch und leicht hinunter, da Herr Wildpret und ich, die allein den Piton erklommen, über die glatte Eisfläche in einer Viertelstunde leicht, halb sitzend, halb liegend, hinabrutschten, deren Erklimmung uns so viel Schweiß und Anstrengung gekostet hatte. Unsere Gefährten erwarteten uns sehr niedergeschlagen in der Estanzia Inglese. Der Rückritt von dort bis zur Estanzia di cera war bei der prachtvollsten roten Abendbeleuchtung herrlich und sehr genußreich. Dagegen war der weitere Rückritt von dort bis Villa Orotava immer scharf bergab auf den scheußlichsten Lavawegen sehr anstrengend, und da der Mond uns nicht leuchtete (er ging erst um 10 Uhr auf), wirklich halsbrechend. Wir konnten nicht genug die Klugheit und Umsicht und den festen, sicheren Schritt unserer Maultiere bewundern, welche, eines hinter dem anderen, ohne zu stürzen, teils in absoluter Dunkelheit, teils bei dem unsicheren Licht weniger Kienfackeln den Weg prüfend fanden. Doch waren wir sehr froh, mit ganzen Knochen Orotava erreicht zu haben.

Die übermäßigen Anstrengungen der Pik-Besteigung, welche uns 22 Stunden ununterbrochen auf den Beinen gehalten hatte, machten uns für die nächstfolgenden Tage, an denen der Pik sich wieder in Schnee und Wolken einhüllte, vollständig zu weiteren Exkursionen unfähig.

Zwei ganze Tage lagen wir in Villa Orotava still und hüteten uns, unser erschüttertes Skelett und die angestrengten Muskeln irgendwelcher


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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